Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus des Windes

Das Haus des Windes

Titel: Das Haus des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Erdrich
Vom Netzwerk:
was nicht mit deinem Burger, Mom?
    Sie blickte, ganz gefangen von einem Gedanken, an mir vorbei. Die harte Falte erschien wieder zwischen ihren Augenbrauen. Daddy hat mir da was erzählt. Eine Geschichte von einem Wiindigoo. Lark versucht uns aufzufressen, Joe. Das lasse ich nicht zu, sagte sie. Ich werde ihn aufhalten.
    Ihre Entschlossenheit erschreckte mich. Sie nahm ihren Burger wieder auf und begann langsam und bedächtig zu essen. Sie hörte nicht auf, bis alles aufgegessen war, und auch das machte mir Angst. Es war das erste Mal seit dem Angriff, dass sie ihren ganzen Teller leer gegessen hatte. Dann gingen wir ins Hotel zurück und machten uns bettfertig. Meine Mutter schluckte eine Tablette und schlief sofort ein. Ich starrte zu den dünnen Styroporfliesen an der Zimmerdecke hoch. Wenn ich genau genug hinsah, konnte ich spüren, wie mein Herz sich beruhigte. Meine Brust weitete sich, und mein Magen hörte auf zu krampfen. Ich zählte, langsam und gleichmäßig, 78 zufällig verteilte kleine Löcher in der Fliese direkt über mir, und 81 in der daneben. Wenn meine Mutter Lark nachstellte, würde er sie töten. Das wusste ich. Ich zählte die Löcher wieder und wieder.
    * * *
    An dem Tag unserer Abreise aus Fargo wachte ich frühmorgens auf. Meine Mutter war schon wach und machte im Badezimmer Zahnputz- und Waschgeräusche. Ich lauschte dem Prasseln der Dusche. Die Vorhänge des Hotels waren so dick und schwer, dass ich nicht mitbekam, dass auch draußen ein Schauer niederging. Einer dieser kostbaren August-Regengüsse hatte begonnen, die den wirbelnden Staub auf den Straßen zu Boden drücken. Ein Regen, der die weiß bedeckten Blätter wäscht. Ein Regen, der die Risse in der Erde schließt und das braune Gras zum Leben erweckt. Das den Mais um einen Fuß in die Höhe schießen lässt und eine zweite Heuernte möglich macht. Ein sanfter Regen, der tagelang anhalten kann. Es lag eine Kühle in der Luft, die uns auf dem ganzen Heimweg begleitete. Meine Mutter saß am Steuer und hatte die Scheibenwischer an. Ein wunderbar gemütliches Geräusch für einen Jungen, der auf der Rückbank vor sich hin döst. Mein Vater saß mit einem Quilt auf dem Schoß neben ihr und hielt sich wach. Von Zeit zu Zeit öffnete ich die Augen, nur um die beiden zu sehen. Seine ausgestreckte Hand ruhte knapp über dem Knie auf ihrem Bein. Hin und wieder nahm sie eine Hand vom Lenkrad und legte ihre Hand auf seine.
    Während dieser friedvollen Autofahrt, die so sehr meinen ersten Erinnerungen an Reisen mit meinen Eltern glich, wurde mir klar, was ich tun musste. Ein Gedanke senkte sich auf mich herab, als ich da unter meiner eigenen alten Decke lag. Ich schob ihn weg. Der Gedanke kam wieder. Drei Mal schob ich ihn immer fester von mir fort. Ich summte mir selbst etwas vor. Ich versuchte es mit Reden, aber meine Mutter legte den Finger auf die Lippen und zeigte auf meinen Vater, der eingeschlafen war. Der Gedanke kam wieder, noch eindringlicher, und dieses Mal ließ ich ihn kommen und betrachtete ihn. Ich dachte die neue Idee konsequent zu Ende. Ich trat einen Schritt von dem Gedanken zurück. Ich sah mir selbst beim Denken zu.
    Das Denken hörte auf.
    Als wir nach Hause kamen, hatte Clemence ein Chili gekocht. Puffy hatte die Lebensmittel angeliefert, die wir uns ausgesucht hatten. Alles, was wir brauchten, war säuberlich in den Küchenschränken und im Kühlschrank verstaut. Meine Packung Kartoffelchips entdeckte ich auf dem Tresen. Ich musste an die Tomatendose denken, die ich als Waffe benutzt hatte. Wahrscheinlich hatte Clemence sie geöffnet und für das Chili benutzt. Seit der Sache im Supermarkt wünschte ich mir jeden Tag, ich hätte Lark den Schädel eingeschlagen. Ich stellte mir wieder und wieder vor, ihn zu töten. Aber das hatte ich nicht, und deshalb wollte ich gleich am nächsten Morgen zu Father Travis. Ich beschloss, an seinen samstäglichen Katechesen teilzunehmen. Ich dachte, da hätte er sicher nichts dagegen. Und ich dachte, wenn ich mich danach oben bei der Kirche ein bisschen nützlich machte, dann würde er vielleicht bemerken, dass die Erdhörnchen bei dem Regen ihre Tunnel verlassen hatten und sich jetzt an dem frischen Gras dick und rund fraßen. Jemand musste sich um sie kümmern. Ich hoffte darauf, dass Father Travis mir beibringen würde, wie man Erdhörnchen schießt, damit ich Übung bekam.
    * * *
    Ich fing nicht bei null an als Katholik. Priester und Nonnen waren schon seit der Gründung des Reservats

Weitere Kostenlose Bücher