Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Hause wird sie wohl nicht …«, beginne ich, unwillig, den Satz zu vollenden. Ich schaue hoffnungsvoll zu Dr. Crawford auf, doch sie schüttelt den Kopf.
»Ihre Frau zu bewegen, würde das Fortschreiten der Krankheit nur beschleunigen«, erklärt sie mir. »Ich bezweifle, dass sie das damit einhergehende Trauma überleben würde. Ich weiß, das ist schwer für Sie, Mr Jatschmenew, aber …«
Ich schalte auf Durchzug. Dr. Crawford ist eine nette Person, eine fähige Ärztin, aber Plattitüden will ich mir weder anhören noch weitererzählen. Kurz darauf verlasse ich ihr Büro und kehre zur Station zurück, wo Soja inzwischen aufgewacht ist und schwer atmend daliegt. Sie ist ringsum von Apparaten umgeben. Kabel führen in die Ärmel ihres Nachthemds, Schläuche schlängeln sich unter den groben Bezug der Bettdecke, um wer weiß wo an ihrem Körper Einlass zu finden.
»Duscha«, sage ich und beuge mich über sie, um sie auf die Stirn zu küssen, wobei ich meine Lippen für einen Moment auf ihrem weichen, mageren Fleisch ruhen lasse. Mein Liebling . Ich atme ihren vertrauten Duft ein; alle meine Erinnerungen sind darin enthalten. Ich könnte meine Augen schließen und überall sein. Im Jahr 1970. Oder 1953. Aber auch 1915.
»Georgi«, flüstert sie, und es kostet sie bereits Mühe, meinen Namen auszusprechen. Ich gebe ihr zu verstehen, dass sie ihre Kräfte sparen soll, dann nehme ich an ihrer Seite Platz und ergreife sie bei der Hand. Sofort schließen sich ihre Finger fest um meine, und einen Moment lang bin ich darüber verblüfft, wie viel Kraft sie noch immer aufzubieten vermag. Doch ich tadele mich deswegen sofort, denn habe ich jemals einen Menschen getroffen, dessen Kraft sich mit der von Soja messen ließe? Wer unter den Lebenden oder den Toten hat dermaßen viel erdulden müssen und dennoch überlebt? Auch ich umklammere ihre Finger nun ganz fest, in der Hoffnung, dass das bisschen Kraft, das noch in meinem eigenen geschwächten Körper steckt, auf sie übergehen möge, und wir beide sagen kein Wort, sondern sitzen einfach nur da, genießen die Gesellschaft des anderen, so wie wir es während unseres gesamten Lebens getan haben, glücklich, mit dem anderen zusammen zu sein, zufrieden, wenn wir mit ihm eins sind.
Natürlich bin ich nicht immer so alt und schwach gewesen. Es war meine Stärke gewesen, die mich Kaschin den Rücken kehren ließ, die mich überhaupt erst mit Soja zusammenbrachte.
Der Prinz von Kaschin
Es war meine große Schwester Asja, die mir zum ersten Mal von der Welt erzählte, die außerhalb Kaschins existierte.
Ich war neun Jahre alt, als sie meinen beschränkten Horizont sprengte. Asja war damals elf, und ich glaube, ich war ein wenig in sie verliebt, auf die Art, auf die ein kleiner Bruder – bevor sich bei ihm die ersten sexuellen Bedürfnisse zu regen beginnen und er seine Aufmerksamkeit auf andere Objekte lenkt – bezaubert werden kann von der Schönheit und Rätselhaftigkeit des weiblichen Wesens, mit dem er am engsten verbunden ist.
Wir hatten uns immer sehr nahegestanden, Asja und ich. Sie stritt sich ständig mit Liska, die ein Jahr nach ihr und ein Jahr vor mir zur Welt gekommen war, und unsere kleine Schwester Tajla ertrug sie nur mit Mühe, doch ich war ihr Schatz. Sie kleidete mich an, sie versorgte mich und sie achtete darauf, dass ich von den schlimmsten Wutexzessen unseres Vaters verschont blieb. Zu ihrem Glück hatte sie von unserer Mutter Julia nicht deren Charakter, wohl aber die hübschen Gesichtszüge geerbt, und so widmete sie sich ausgiebig ihrem Aussehen. Mal flocht sie sich Zöpfe, mal band sie sich das Haar im Nacken zusammen, und wenn ihr danach war, ließ sie das Haar locker über die Schultern fallen. Sie rieb sich den Saft reifer Pflaumen auf die Wangen, um ihren Teint zu verschönern, und sie trug ihre Kleider bis über die Fußknöchel hochgesteckt, was meinen Vater dazu veranlasste, sie spätabends anzuglotzen – mit einer Mischung aus Begierde und Verachtung, die die Dunkelheit in seinen Augen noch verstärkte. Die anderen Mädchen in unserem Dorf verhöhnten sie natürlich wegen ihrer Eitelkeit, beneideten sie aber eigentlich um ihr Selbstvertrauen. Als sie älter wurde, sagten die anderen Mädchen, sie sei eine Hure, die ihre Beine für jeden Mann oder Jungen breit machen würde, der sie begehrte, doch sie kümmerte sich nicht darum – sie lachte einfach über diese Frotzeleien und ließ sie an sich abperlen, wie Wasser an einem Felsen.
Ich
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