Das heilige Buch der Werwölfe
Mönch bin.«
Ich mochte noch nicht aufgeben. Steigerte die Willensanspannung bis zum Äußersten – worauf er, mit einer gequälten Grimasse wie von Kopfschmerz, seinen Hut abnahm und in meine Richtung schleuderte. Der Hut verfing sich mit dem schwarzen Schnürband in meinem Schweif und drückte ihn urplötzlich zu Boden – als wäre es kein Kegel von trocken Stroh, sondern ein schwerer Mühlstein.
Hierauf hob der Gelbe Herr zwei mit Hieroglyphen bemalte Blätter auf, rollte sie zusammen und warf sie gleichfalls in meine Richtung. Bevor ich auch nur einen Gedanken fassen konnte, klammerten sie meine Handgelenke wie eiserne Krampe am Boden fest. Ich versuchte, eine der Rollen mit den Zähnen wegzuzerren (man erinnere sich: bei heftigem Erschrecken widerfährt uns das Gleiche wie auf der Hühnerjagd, unser menschliches Antlitz zieht sich in die Länge, wird in Sekundenschnelle zum scharfzähnigen Schnäuzchen), doch es ging nicht. Zauberei, ganz ohne Frage. Einige der Hieroglyphen auf dem Papier konnte ich entziffern: Es gibt kein Alter, keinen Tod , hieß es da, und kein Entkommen vor ihnen …
Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn dies war das buddhistische Herz-Sutra – es konnte also kein Füchse jagender Dao-Zauberer sein, der da vor mir stand. Alles konnte noch gut werden. Ich hörte auf zu zappeln.
Der Gelbe Herr hob die Teeschale zum Mund und trank einen Schluck, wobei er mich betrachtete wie ein Maler sein kurz vor der Vollendung stehendes Bild: darüber nachsinnend, wo noch ein letzter Pinselstrich angebracht wäre. Ich begriff, dass ich mit unzüchtig entblößtem Unterleib vor ihm auf dem Rücken lag. So viel Erniedrigung trieb mir die Schamröte ins Gesicht. Zugleich packte mich die Angst. Wer konnte wissen, was dieser Magier als Nächstes im Sinn hatte? Das Leben kann furchtbar sein und gnadenlos. Manchmal, wenn es den Menschen gelingt, eine von unseren Schwestern zu fangen, tun sie Dinge mit ihr, an die man lieber gar nicht denken möchte.
»Ich warne Euch«, sagte ich mit brüchiger Stimme, »solltet Ihr vorhaben, mit meiner Jungfräulichkeit Schindluder zu treiben … Himmel und Erde würden von dieser Schandtat erbeben! Die Ruhe Eures Alters wäre ein für alle Mal dahin!«
Er lachte so herzlich, dass ihm der Tee aus der Schale schwappte. Die Scham wurde unerträglich, ich wandte den Kopf ab, und wieder fielen mir die Hieroglyphen auf dem Papier ins Auge, das meine Hand am Boden festhielt. Diesmal war es das andere Blatt, mit anderen Zeichen: Kein Haften, kein Festhalten … Weisheit, die über alles hinausführt …
»Wollen wir uns unterhalten?«, fragte der Gelbe Herr.
»Ich bin kein Animiermädchen aus dem Freudenhaus, dass ich mit geschürztem Rock Gespräche führe«, sagte ich.
»Du hast ihn doch selber geschürzt«, erwiderte er ungerührt.
»Mag sein. Aber herablassen kann ich ihn im Moment leider nicht von allein.«
»Versprichst du mir, nicht wegzulaufen?«
Ich ließ den Anschein eines quälenden inneren Kampfes über mein Gesicht gehen. Seufzte und sprach: »Gut. Ich verspreche es.«
Der Gelbe Herr murmelte leise den letzten Satz aus dem Herz-Sutra, und zwar auf Chinesisch. Alle gelehrten Männer, die ich bis dahin kannte, waren der Meinung gewesen, man dürfe dieses Sutra nur auf Sanskrit aufsagen, weil die Stimme des Siegreichen es so das erste Mal ausgesprochen habe. Theorie hin, Theorie her, die Fesseln um meine Handgelenke lösten sich augenblicklich und waren nun wieder zwei zerknitterte Rollen Papier.
Ich richtete den Saum meines Gewands, setzte mich in würdevolle Positur und sagte: »Das ist ja erbaulich! Der Herr benutzt ein und dasselbe Sutra einmal als Schloss und einmal als Schlüssel. Oder soll man es so verstehen, dass dieses Mantra, wie von Buddha verheißen, tatsächlich von jeglichem Leiden befreit?«
»Hast du das Herz-Sutra gelesen?«, fragte er.
»Stellenweise«, antwortete ich. »Form ist Leere, Leere ist Form …«
»Dann weißt du vielleicht sogar, was diese Worte bedeuten?«
Ich schätzte die Entfernung zum Fenster ab. Zwei Sprünge bis dorthin. Und wenn er der Leibwächter des Kaisers wäre! so mein Gedanke. Mich hält er hier um keinen Preis!
»Natürlich weiß ich das«, gab ich zurück, während sich mein Leib zur Feder spannte. »Hier zum Beispiel sitzt vor Euch der Werfuchs A Huli. Erscheint wie echt, hat eine Form. Doch bei näherem Hinschauen zeigt sich vor Euch keine A Huli, sondern gähnende Leere!«
Mit diesen Worten sprang ich auf
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