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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Handstreich. Ich zögerte keine Sekunde länger und hechtete zum Fenster hinein.
    Mein Entschluss war, den Flötisten schnell in mein Garn zu locken und, wenn das Volk unten sich verlaufen hatte, zu meiner Sänfte zurückzukehren; zum Glück war es inzwischen schon beinahe ganz dunkel. Lautlos war ich auf allen vieren gelandet, richtete den Schweif auf und rief den Sitzenden leise von hinten an.
    »Verehrter Herr!«
    Gemessen legte er die Flöte auf dem Boden ab und wandte sich um. Ich straffte mein buschiges Organ, versammelte all meinen Geist in seiner obersten Spitze – und es geschah etwas, das völlig neu und überraschend für mich war: Anstatt auf wabbelnde, schmatzende Sülze, als die mein Schweif den menschlichen Geist wahrzunehmen gewohnt war (das kann keiner verstehen, der es nicht selbst schon erfahren hat), stieß ich hier auf … gar nichts.
    Vielen Menschen war ich schon begegnet, beherzten ebenso wie bedripsten. Mit ihnen zu arbeiten war, als bohrte man Löcher in Wände. Zu bohren ging alles, man musste die Technik nur ein bisschen an das jeweilige Material anpassen. Hier aber fand ich überhaupt keine Wand vor. Nichts, was der Willenskraft, die in den knisternd unter Strom stehenden Grannen über meinem Kopf steckte, einen Angriffspunkt bot. Vor Überraschung verlor ich buchstäblich das Gleichgewicht und landete wie ein dummes Kind auf dem Hintern: Schweif eingeknickt, Beine unzüchtig abgespreizt. In diesem Moment fühlte ich mich wie ein Jongleur auf dem Marktplatz, dem sämtliche Kugeln und Bänder in den Matsch geklatscht sind.
    »Sei gegrüßt, A Huli«, sprach der Mann und neigte den Kopf zu einem höflichen Gruß. »Ich freue mich, dass du ein Minütchen Zeit gefunden hast, bei mir hereinzuschauen. Du kannst mich übrigens Gelber Herr nennen.«
    Gelber Herr!, dachte ich, während ich die Beine unterschlug: Das kommt bestimmt vom Gelben Berg, auf dem das Kloster steht. Falls er nicht vorhat, Kaiser zu werden …
    »Nein«, sprach er lächelnd, »Kaiser möchte ich nicht werden. Aber mit dem Gelben Berg hast du richtig geraten.«
    »Nanu. Habe ich etwa laut gedacht?«
    »Deine Gedanken stehen dir so überdeutlich im Gesicht geschrieben, es bereitet keine Mühe, sie zu lesen«, sprach er und lachte.
    Bestürzt verbarg ich das Gesicht hinter dem Ärmel. Dann aber fiel mir ein, dass in diesem Ärmel ein Riss war. Vollends beschämt, hielt ich den anderen Arm davor. Ich besaß damals ein sehr schönes Gewand, ererbt von des Kaisers Konkubine, nur eben nicht mehr ganz neu; hier und da klafften Löcher.
    Natürlich war meine Scham gespielt. Tatsächlich suchte ich fieberhaft nach einem Ausweg, bedeckte mein Gesicht nur, damit er meine Gedanken nicht weiterlas. Dass ich mich von einem einzelnen Menschen aufs Kreuz legen ließ, durfte einfach nicht sein. Ich kam bei ihm an keinen Geist heran – was nicht heißen musste, dass da keiner war. Vermutlich kannte er irgendeinen gemeinen Zaubertrick … Ob er sich an anderer Stelle zeigte, als er in Wirklichkeit war? Von so etwas hatte ich schon gehört … Doch er war nicht der Einzige, der Tricks auf Lager hatte.
    Werfüchse beherrschen eine Methode, mittels derer man Halluzinationen rundum, in alle Richtungen zugleich ausschicken kann und dabei jeden menschlichen Willen augenblicklich lähmt. Wir fokussieren dabei nicht auf den konkreten Kunden, sondern werden gewissermaßen zu einem großen, schweren Stein, der auf die Oberfläche des Hier und Jetzt aufschlägt und konzentrische Wellen schlägt, die des Menschen Geist trüben, sodass er, vollkommen desorientiert, nach dem ersten sich bietenden Strohhalm greift. Drücke ich mich verständlich aus? Gewitter über dem Himmelspalast heißt diese Technik.
    Ich brachte sie unverzüglich zum Einsatz. Sprang auf alle viere, schlug das Gewand zurück und schüttelte wütend den Schweif über meinem Kopf. Hierbei gilt es nicht nur die Spitze zu schütteln, sondern ebenso den Schweifansatz, was dem ganzen eine zweideutige, wenn nicht eindeutig obszöne Note gibt, besonders wenn der Kittel auch noch Löcher hat. Doch fällt es uns Werfüchsen hierbei nicht allzu schwer, die angeborene Schamhaftigkeit zu überwinden, da der Mensch sowieso nicht dazu kommt, auch nur das Geringste zu sehen.
    Der normale Mensch, muss ich einschränken. Der Gelbe Herr sah nicht nur alles, er lachte auch noch aus vollem Halse, was überaus kränkend war.
    »Du bist ja eine ganz Hübsche!«, sagte er. »Aber vergiss nicht, dass ich

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