Das Herz der Puppe
dann staunte sie nicht schlecht, dass auch Widu Sport nicht ausstehen konnte. »Manche Kinder hätten mich am liebsten zehnmal am Tag durch die Luft gewirbelt, fürchterlich!«, sagte sie. »Wenn ich daran denke, tut mir jetzt noch alles weh.« Für einen Augenblick schien sie in gedanken versunken zu sein, aber dann fuhr sie fort: »Ach was, morgen ist nicht heute. Lass uns spielen! Vielleicht wird der Donnerstagmorgen krank. Oder Frau Schramm. Oder alle beide kommen nicht.«
Nina lachte über die Vorstellung, dass ein Morgen krank werden könnte, aber bei der Sportlehrerin gab es nichts zu lachen. »Frau Schramm ist nie krank«, sagte sie.
»Lass uns trotzdem spielen«, sagte Widu. »Und wenn wir fertig sind, dann beten wir zusammen, dass Frau Schramm krank wird und der Sport ausfällt. – Versprochen!«
»Oder ich geh für dich. Ich turne gern!«, rief Plums.
Nina streichelte dem Affen über den Kopf, dann lachte sie, und alle zusammen überlegten sie ein neues Spiel: Klassenausflug mit lauter Quatsch .
Später im Bett flüsterte Nina leise: »Heilige Maria, mach, dass Frau Schramm ein wenig, nur ein ganz klein wenig krank wird, nicht schlimm, nur so, dass sie morgen nicht kommen kann!«
Widu hatte mitgeflüstert, wie sie es versprochen hatte. Jetzt sagte sie: »Hast du nicht was vergessen?«
»Und nächste Woche vielleicht auch nicht«, sagte Nina.
Am nächsten Morgen erfuhr Nina zu ihrem Schrecken, dass Frau Schramm im Treppenhaus gestürzt war und sich das Bein gebrochen hatte. Der Unterricht fiel aus, stattdessen las eine Aushilfslehrerin geschichten vor. Es waren schöne geschichten, aber Nina konnte sie vor lauter schlechtem gewissen nicht genießen.
Als sie von der Schule nach Hause kam, hatte sie weder Appetit noch Lust zu spielen. Sie war überzeugt, dass sie am Unglück von Frau Schramm schuld war.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte Widu.
»Ich glaube, ich habe zu fest gebetet: Die arme Frau Schramm, das wollte ich doch nicht.«
» Was wolltest du nicht?«, fragte Widu.
»Dass sie gleich einen schlimmen Unfall hat.«
»Ist es was mit dem Bein?«, erkundigte sich Widu.
»Ja, sie hat sich das Bein gebrochen.«
»Dann war ich das. Als du geschlafen hast, habe ich ihr sicherheitshalber einen Beinbruch gewünscht. – So, und nun lass uns endlich spielen.«
»Hast du gar keine gewissenbisse?«
»Mein gewissen hat keine Zähne«, erwiderte Widu und freute sich über Ninas helles Lachen.
Die seltsame Note Zwölf
»Heute hat Frau Wagner einem Jungen eine Zwölf gegeben«, erzählte Nina zu Hause. Sie selbst hatte eine Zwei bekommen.
»Übertreib nicht, Nina«, sagte die Mutter, »die schlechteste Note ist die Sechs. Eine Note Zwölf gibt es nicht.«
»Doch. Bei Frau Wagner schon. Das Diktat hatte vierundachtzig Wörter, und Joachim hat neunzig Fehler gemacht«, erwiderte Nina.
»Neunzig Fehler in vierundachtzig Wörtern? Das ist seltsam.«
»Ja«, stimmte Nina zu. »Aber Joachim hat zum Diktat noch sechs Wörter dazu erfunden, weil er es so schöner fand, und die sechs Wörter hat er auch noch falsch geschrieben. Frau Wagner hat ihm für jedes zusätzliche Wort eine Note schlechter gegeben, und so kam sie auf die Zwölf. Joachim hat die ganze Stunde geheult.«
»Frau Wagner, Frau Wagner«, sagte die Mutter nur.
»Bei so Sachen reicht es nicht, dass man sich nur aufregt«, sagte Widu, als sie abends neben Nina im Bett lag. »Manchmal muss man die Lehrer auch erziehen. Beim nächsten Diktat müsst ihr zusammenhalten und alle, aber wirklich alle in der Klasse alles falsch schreiben. Dann wird die Lehrerin vielleicht begreifen, dass sie auch etwas falsch macht. Ich werde übrigens auch etwas unternehmen. Noch heute Nacht werde ich alle Puppen in der Stadt benachrichtigen, dann kann Frau Wagner was erleben.«
»Was denn?«, fragte Nina.
»Einen Puppenaufstand«, sagte Widu. Aber mehr kriegte Nina nicht aus ihr heraus.
Beim Frühstück erzählte Nina den Eltern von ihrem Plan, beim nächsten Diktat alles falsch zu schreiben. Bestimmt würden die Kinder mitmachen, sagte sie und dachte, ihre Eltern wären von der Idee genauso begeistert wie sie. Doch die wurden nur ganz blass.
Als Frau Wagner in der vierten Stunde in die Klasse kam, sah sie auch blass aus. Einen Fehler habe sie gemacht, erzählte sie, und dass beim Herrn Direktor den ganzen Morgen das Telefon nicht stillgestanden habe, so viele Eltern hätten angerufen wegen der Zwölf, die Joachim bekommen hatte. Von heute
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