Das Herz ihrer Tochter
schreien könnte.
Ich mache den Verband wieder fest, den
ich eigentlich gar nicht abmachen dürfte. Ich tu es aber doch, wenn meine
Mutter es nicht sieht. Dann zieh ich mir eine Bluse an und blicke zu Dudley
runter. »He, du Faulpelz«, sage ich. »Los, aufstehen.«
Aber mein Hund rührt sich nicht.
Ich stehe da und starre ihn an, obwohl
ich weiß, was passiert ist. Meine Mutter hat mir mal erzählt - eine von den zig
Sachen, die sie über Herzpatienten gelesen hat -, dass bei einer Transplantation
sozusagen der Nerv, der vom Gehirn zum Herzen verläuft, durchtrennt wird. Was
bedeutet, dass Leute wie ich länger brauchen, auf Situationen zu reagieren, in
denen wir normalerweise Panik kriegen würden. Erst muss das Adrenalin wirken.
Sie denken jetzt vielleicht, Oh, wie schön muss das sein, so ruhig zu bleiben. Oder Sie denken, Wahnsinn,
da hat man schon ein nagelneues Herz und empfindet so langsam.
Und dann, wumm, ist die Wirkung da. Ich
falle vor dem Hund auf die Knie. Ich habe Angst, ihn zu berühren. Ich war dem
Tod selbst zu nah. Ich will nicht schon wieder mit ihm zu tun haben.
Und jetzt sind die Tränen da. Sie laufen
mir übers Gesicht und in den Mund. Verlust schmeckt immer wie Salz. Ich beuge
mich über meinen alten, lieben Hund. »Dudley«, sage ich. »Komm.« Doch als ich
ihn hochnehme - mein Ohr an seinen Brustkasten lege -, ist er kalt, steif und
atmet nicht.
»Nein«, flüstere ich, und dann schreie
ich es so laut, dass meine Mutter die Treppe hochgestürzt kommt.
Sie taucht in der Tür auf, Panik in den
Augen. »Ciaire? Was hast du?«
Ich schüttele den Kopf: Ich kann nicht
sprechen. Denn der Hund in meinen Armen zuckt. Sein Herz fängt wieder an zu
schlagen, unter meinen beiden Händen.
Jodi Picoult
Meine Geschichte hinter »Das Herz ihrer Tochter«
Ich habe mich gefragt, warum wir glauben,
was wir glauben. Weil es richtig ist? Oder weil es zu beängstigend wäre
zuzugeben, dass wir nicht auf alles eine Antwort haben? Und auf einmal hatte
ich die Idee zu Das Herz ihrer Tochter.
Die Geschichte handelt von dem wegen
Doppelmordes zum Tode verurteilten Shay Bourne - ungebildet und ein
gesellschaftlicher Außenseiter -, der zu der Überzeugung gelangt, dass er, um
Erlösung zu erlangen, nach seiner Hinrichtung sein Herz der Schwester seines
Opfers spenden muss - einem jungen Mädchen, das eine Herztransplantation
benötigt. Nun ist die Sklaverei in Amerika zwar längst abgeschafft, aber wer in
der Todeszelle sitzt, ist mehr oder weniger Eigentum des Staates. Er muss ein
Gesuch einreichen, wenn er durch eine Hinrichtungsmethode sterben will, die
als nicht ganz so human gilt wie die tödliche Injektion. Jeder Bundesstaat, in
dem die Todesstrafe praktiziert wird, hat eine alternative Hinrichtungsmethode:
Erschießung, Gaskammer oder - in New Hamphire - Erhängen. Und wenn Letzteres
nach bestimmten Vorgaben vollstreckt wird, könnte der Todeskandidat
seine Organe spenden.
Wie nicht anders zu erwarten, löst Shays
Bitte einen kolossalen Medienrummel aus - was der Gefängnisleitung gar nicht
passt. Der Direktor läßt einen Geistlichen kommen, der Shay klarmachen soll,
was Erlösung eigentlich bedeutet - und der Priester trifft genau in dem Moment
ein, als Shay beginnt, Wunder zu vollbringen. Der Geistliche fühlt sich an
einen anderen Mann erinnert, dem die Todesstrafe drohte und der Wunder vollbrachte
- und für Jesus ging die Sache auch nicht so gut aus -, und so beschließt der
Priester, Shay einfach zuzuhören, anstatt mit ihm zu REDEN. Aber das, was Shay
sagt, stammt nicht aus der Bibel, sondern wortwörtlich aus einem realen alten
Evangelium, das von der Kirche als Häresie eingestuft und aus der Bibel
ausgeschlossen wurde. Das gibt dem Priester zu denken: Ständig ist die Rede
davon, dass Menschen im Gefängnis den Weg zu Gott gefunden haben - aber vielleicht
war Er ja bereits bei ihm? Und wenn das, was Er sagt, nicht mit dem
übereinstimmt, was dir dein Leben lang erzählt wurde ... liegt das
möglicherweise daran, dass das, was man dir erzählt hat, FALSCH ist.
Die Recherche für dieses Buch lief
zweigleisig. Als Erstes beschäftigte ich mich mit der Todesstrafe. Die USA sind
das einzige Erste-Welt-Land, in dem die Todesstrafe noch angewendet wird. Laut
Meinungsumfragen sind 70% der Amerikaner dafür, doch die Zahl sinkt auf 50%, wenn die Befragten
zwischen Todesstrafe und lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Bewährung
entscheiden müssen. In New Hampshire, wo ich lebe, kann
Weitere Kostenlose Bücher