Das Hexen-Amulett (German Edition)
bestand, dass sie stark und fröhlich war und keine Furcht vor dem schrecklichen, rachsüchtigen Gott zu haben schien, dem Matthew Slythe diente. Und so litt er darunter, dass es ihm nicht gelungen war, ihren Stolz zu brechen und aus dem Kind der Sünde ein Kind Gottes zu machen. Seine Tochter bekannte sich zwar zu ihrem Glauben an Gott und sprach ihre Gebete, ließ aber immer wieder einen Freiheitsdrang, eine Unabhängigkeit erkennen, die Matthew Slythe mit Schrecken erfüllten. Er fürchtete, dass sie nach weltlichen Freuden trachten könnte, und er fürchtete auch, dass sie dann hinter sein Geheimnis käme.
Es gab ein Juwel, ein Siegel aus Gold, es war versteckt und er verbarg es seit sechzehn Jahren sogar vor sich selbst. Wenn Dorcas erfahren sollte, was es damit auf sich hatte, würde sie womöglich mit Hilfe dieses Siegels den Bund aufdecken. Matthew Slythe stöhnte. Das Vermögen, das dem Bund zugute kam, gehörte Dorcas, was sie nicht wusste. Es galt, dieses Vermögen testamentarisch zu sichern, und Matthew Slythe hoffte, dies erreichen zu können, indem er Dorcas nach seinem Willen verheiratete. Seine gefährlich schöne Tochter durfte nie erfahren, dass sie reich war. Das sündhaft erworbene Geld musste Gott überschrieben werden, dem Gott von Matthew Slythe. In seinem Kopf hallten noch die Gebete nach, als er sich ein Blatt Papier zurechtlegte und einen Brief aufsetzte. Das Problem sollte ein für alle Mal geregelt werden. Er würde Dorcas seinen Willen aufzwingen, er würde sie brechen.
Oben im Schlafzimmer, das sie sich mit einer der Dienstmägde teilte, saß Campion auf der breiten Fensterbank und starrte hinaus in die Nacht.
Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie wunderschön Werlatton Hall einst gewesen war mit seinen von Efeu überwucherten alten Mauern und den hohen, Schatten spendenden Ulmen und Eichen. Nach dem Erwerb des Anwesens hatte Matthew Slythe den Efeu abschneiden, die Bäume fällen und eine weite Rasenfläche anlegen lassen, für deren Pflege zwei Arbeitskräfte nötig waren. Eine inzwischen hochgewachsene Hecke umschloss die streng geordnete Welt von Werlatton und schirmte sie von der fremden Außenwelt ab, in der Lachen keine Sünde war.
Campion schaute ins Dunkel jenseits der Hecke.
Zwischen den Buchenwipfeln jagte eine Eule, ihr Ruf tönte hohl durchs Tal. Fledermäuse schwirrten durch die Luft. Vom Kerzenschein angelockt, flatterte eine Motte ins Zimmer. Charity, die Dienstmagd, schrie auf. «Macht bitte das Fenster zu, Miss Dorcas!»
Campion drehte sich um. Charity hatte ihre Pritsche unter Campions Bett hervorgezogen. Sie hockte am Boden und blickte mit bleichem, verängstigtem Gesicht zu ihr auf. «Hat’s wehgetan, Miss?»
«Das tut es immer, Charity.»
«Warum habt Ihr das getan, Miss?»
«Ich weiß es nicht.»
Campion schaute wieder zum Fenster hinaus. Wie an jedem Abend betete sie zu Gott, er möge ihr zur Besserung verhelfen, aber sie würde den Vater nie günstig stimmen können. Sie wusste, dass es eine Sünde war, im Bach zu baden, verstand aber nicht, warum. Nirgendwo in der Bibel stand geschrieben: ‹Du sollst nicht baden›. Dass sich die Nacktheit nicht geziemte, war ihr klar, aber sie konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen. Jetzt würde es ihr wohl nie mehr erlaubt sein, an den Bach zu gehen.
Sie dachte an Toby. Bevor sie von ihrem Vater geschlagen worden war, hatte er entschieden, dass sie einen Monat lang nicht außer Haus gehen dürfe. Selbst der Kirchbesuch am Sonntag war ihr verwehrt. Sie überlegte, ob sie sich davonschleichen könnte, ahnte aber, dass ihr das nicht möglich sein würde. Wenn sie Hausarrest hatte, ließ der Vater sie durch einen seiner Diener auf Schritt und Tritt überwachen.
Liebe. Das Wort verfolgte sie. Gott war Liebe, obwohl ihr Vater lehrte, dass Gott vor allem Zorn, Strafe, Rache und Allmacht sei. In der Bibel hatte Campion die Beschreibung von Liebe gefunden. «Lasst ihn mich küssen mit dem Kusse seines Mundes, denn deine Liebe ist lieblicher als Wein.» «Seine Linke liegt unter meinem Haupte, mit seiner Rechten umarmt er mich.» «Und die Liebe ist sein Banner über mir.» «Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt.» Ihr Vater sagte, Salomos Hohelied sei nur ein Ausdruck der Liebe Gottes zu seiner Kirche, was sie aber nicht glauben mochte.
Sie schaute über das dunkle Tal und dachte an ihren Vater. Sie fürchtete sich vor ihm, doch die Furcht erreichte nicht ihr Innerstes, denn
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