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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ohne das Spiel der Lippen...
    Plötzlich fasste sie wieder Mut, Laurent würde ihr helfen, würde sie lieben und stützen. Sie malte sich aus, wie die Dunkelheit umschlagen würde in ein warmes weiches Licht, als Laurent fragte: »Soll ich dich heute Abend abholen?«
    Sie nickte zustimmend, hauchte ihm einen Kuss zu und trat vor die Maison du Chocolat.

Kapitel 4
     
    Die Türglocke des Geschäfts lautete, als betrete eine gewöhnliche Kundin den Laden, und das vertraute Geräusch besänftigte Annas Gemüt. Sie hatte sich vor wenigen Monaten auf einen Aushang im Schaufenster für diese Stelle beworben. Zunächst wollte sie sich mit der Arbeit von ihren Wahnvorstellungen ablenken, doch schnell hatte sie einen Zufluchtsort gefunden, einen Bannkreis, der sämtliche Ängste fern hielt. Der Klang der Türglocke erfüllte sie mit Zuversicht.
    Vierzehn Uhr, der Laden war leer, und vermutlich hatte Clothilde die Ruhe genutzt, um im Vorratsraum oder im Lager nach dem Rechten zu sehen.
    Anna durchschritt das Geschäft, das selbst einer Schokoladenschachtel glich. Überall schimmerte es in Braun und Gold, und in der Mitte des Raumes stand die Theke mit den klassisch schwarzen und cremefarbenen Waren, aufgebaut wie ein Orchester: Da waren viereckige und runde Schokoladen, Schokoladen in allen Formen und Größen... Links ruhte die Kasse auf einem Marmorblock, dort, wo die Blickfänger standen, kleine ausgefallene Naschereien, die der Kunde im letzten Moment, wenn er bereits zahlte, noch hinzukaufte. Rechts lagerten allerlei Süßigkeiten wie kandierte Früchte, Bonbons, Honig- und Mandelstücke, allesamt Variationen eines einzigen Themas. Darüber, in den Regalen, leuchteten weitere Leckereien in Tüten aus Zellophanpapier, deren gebrochene Lichtreflexe die Lust nach dem Genuss der Köstlichkeiten weckten.
    Anna bemerkte, dass Clothilde das Osterfenster fertig dekoriert hatte. In geflochtenen Körben lagen Eier und Hühner jeglicher Größe. Um Häuser aus Schokolade mit Dächern aus Karamell sammelten sich kleine Marzipanschweine, Küken standen auf einer Schaukel, im Hintergrund lagerten Osterglocken aus Papier.
    »Toll, dass du schon da bist. Die Ware ist gerade angekommen.«
    Clothilde trat am hinteren Ende des Raumes aus dem Lastenaufzug, der mit einem altmodischen Rad und einem Seil betrieben wurde, das über eine Winde lief. So konnte man die Kisten direkt vom Parkplatz am Square du Roule nach oben befördern. Sie sprang von der Plattform herunter, ging um die aufgestapelten Schachteln herum und stand mit einem Mal strahlend und außer Atem vor Anna.
    Clothilde war in wenigen Wochen zu ihrer Beschützerin geworden. Sie war achtundzwanzig, hatte eine kleine rosa Nase, und immer wieder verdeckten rötlich blonde Haarsträhnen ihre Augen. Sie hatte zwei Kinder, einen Mann, der in einer Bank arbeitete, ein Haus, das sie noch abzahlten, und eine wie auf dem Reißbrett entworfene Zukunft. Mit dieser jungen Frau zusammen zu sein, die in einer Gewissheit ungebrochenen Glücks lebte, war beruhigend und irritierend zugleich. Keinen Moment konnte Anna an dieses Traumbild glauben, auf dem es weder Unebenheiten noch Überraschungen gab und das etwas Besessenes und Verlogenes an sich hatte. Dieses Bild schien unerreichbar für Anna, die mit ihren einunddreißig Jahren keine Kinder hatte und von einem bedrückenden Gefühl verfolgt wurde, das sich aus Unsicherheit und Zukunftsangst speiste und niemals von ihr abließ.
    »Es ist die Hölle heute, und es nimmt gar kein Ende.«
    Clothilde griff einen Karton und ging in den zwischen dem Ende des Ladens und dem Lager gelegenen Vorratsraum. Anna rückte ihr Tuch zurecht und folgte ihr. Samstags herrschte ein solcher Andrang, dass man jede ruhige Minute nutzen musste, um die Tabletts mit den Köstlichkeiten neu zu arrangieren.
    Sie betraten den Vorratsraum, ein fensterloses, zehn Quadratmeter großes Zimmer, in dem kaum noch Platz war zwischen Verpackungsmaterial aus Karton und Unmengen Luftpolsterfolie.
    Clothilde stellte ihren Karton ab und blies aus der vorgeschobenen Unterlippe einige Haarstränen aus der Stirn: »Ich hab dich noch gar nicht gefragt: Wie war es?«
    »Sie haben mich den ganzen Vormittag untersucht, der Arzt hat etwas von einer Schädigung gesagt.«
    »Einer Schädigung?«
    »Ein Bereich in meinem Gehirn, mit dem man Gesichter erkennt, ist tot.«
    »Das ist aber blöd. Kann man was dagegen tun?«
    Anna stellte ihre Schachtel auf den Boden und wiederholte Ackermanns Worte:

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