Das ist das Leben!: C'est la vie (German Edition)
auch im Leben der Leser. Das war nicht meine Absicht.
Aber was dann?
In der bloßen Tatsache, dass man lebt, liegt eine gewisse Leichtigkeit, ein Charme, über die täglichen Beschäftigungen, über große Gefühle, politisches Engagement und alles andere hinaus, und nur darüber will ich berichten.
Über dieses kleine Extra, das uns allen gegeben ist, denn: Das ist das Leben!
13. August
Ich habe mich gestern sehr über Ihre Karte gefreut und darüber, dass Sie an diesem schönen Ort, der einen ins Träumen bringt, Urlaub gemacht haben. Im schottischen Nebel ging es Ihnen also gut. Insofern haben Sie Ihre Ferien nicht »gestohlen« im Sinne von Diebstahl oder Unterschlagung. Eher ist es umgekehrt: Sie bestehlen sich selbst jeden Tag um Ihr Leben.
Geht man von einem Durchschnittsalter von 85 Jahren aus, also von 31 025 Tagen mit schätzungsweise acht Stunden Schlaf, dreieinhalb Stunden für Einkäufe, Kochen, Essen, Abwasch und so weiter, anderthalb Stunden für Körperpflege, Behandlung von Krankheiten und so fort, drei Stunden für Haushalt, Kinder, Fahrten von A nach B, verschiedene Erledigungen, Reparaturen etc., dazu 45 Jahre lang 140 Stunden Arbeit im Monat, also etwa sechs Stunden pro Tag (ohne das Vergnügen einzurechnen, das die Arbeit machen kann), sowie täglich eine Stunde mit obligatorischen Sozialkontakten, Gesprächen mit Nachbarn, Bekannten, in Gremien, Seminaren und Ähnlichem – wie viel Zeit bleibt einem beliebigen Menschen dann noch für die Dinge, die dem Leben seine Würze verleihen?
Für Ferien, Theater, Kino, Oper, Konzerte, Ausstellungen, Lektüre, Musik hören und Musik machen, für Spaziergänge an der frischen Luft, Ausflüge, Reisen, Gartenarbeit, Besuche von und bei Freunden.
Fürs Nichtstun, Schreiben, für etwas Schöpferisches oder Erfinderisches, fürs Träumen, Nachdenken, für Sport (alle Sportarten), Gesellschaftsspiele, Spiele überhaupt, für Kreuzworträtsel, fürs Ausruhen, Reden.
Fürs Flirten, für Liebe und warum nicht auch für lässliche Sünden? (Ihnen wird aufgefallen sein, dass ich Sex nicht einmal erwähne.)
Ja, ich wette, Sie erraten es nicht: anderthalb Stunden in der sogenannten aktiven Lebensphase, fünfeinhalb Stunden davor und danach.
Und Sie, Sie dehnen Ihre Arbeitszeit auf alle anderen Zeiten aus und beschneiden alle angenehmen Dinge, nach denen sich unser Innerstes sehnt.
13. August, ein paar Stunden später
In der Liste der Dinge, die unser Leben bereichern, habe ich einiges ausgelassen.
Ich mache nun nach der Methode der Surrealisten weiter – freie Assoziation, ich lasse es einfach kommen. All das mag Ihnen hedonistisch und vielleicht auch wenig seriös vorkommen – denn ich lasse alle anspruchsvollen geistigen Freuden und die Freuden eines beruflichen Engagements beiseite. Nichtsdestotrotz handelt es sich um sehr ernsthafte und sehr notwendige Dinge, wenn man sich seine Lebenslust bewahren will: jenes innere Kribbeln, das kleine Freuden, Fragen und auch Enttäuschungen verursachen, wenn man ihnen Raum zum Atmen lässt.
Ich fahre fort …
… ich habe das verrückte Lachen vergessen, Telefonate über Gott und die Welt, handschriftliche Briefe. Essen im Familienkreis (manchmal) und mit Freunden. Das Bier am Tresen, ein Glas Rotwein, einen kleinen Weißen, Kaffee in der Sonne. Mittagsschlaf im Schatten. Am Meer Austern oder Kirschen vom Baum essen.
Brüllendes Lachen. Etwas sammeln (Steine, Schmetterlinge, Schatullen, was weiß ich).
Die selige Ruhe kühler Herbstabende. Sonnenuntergänge.
Nachts wach sein, wenn alle schlafen.
Versuchen, sich an Liedtexte von früher zu erinnern. Gerüchen und Geschmäcken nachspüren. In Ruhe Zeitung lesen. In Fotoalben blättern. Mit der Katze spielen. Ein Phantasiehaus bauen, den Tisch schön decken. Lässig an einer Zigarette ziehen. Tagebuch schreiben.
Tanzen (ah, tanzen!). Ausgehen, feiern, am 14. Juli zum Ball gehen.
Wie Millionen das Neujahrskonzert anhören. Auf dem Sofa liegen. Durch die Straßen bummeln und Schaufenster ansehen. Schuhe anprobieren. Den Hanswurst spielen, Stimmen nachahmen.
Eine fremde Stadt erkunden.
Fußball, Scrabble oder Domino spielen. Wortspiele machen, kalauern. Unsinn erzählen. Ein kompliziertes Gericht kochen. Angeln, joggen, Boule spielen.
Einem Gedanken nachhängen. Einen alten Film im Fernsehen oder im Programmkino anschauen.
Ein Lied pfeifen, mit den Händen in den Hosentaschen. An gar nichts denken.
Augenblicke der Ruhe und des Alleinseins. Durch warmen
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