Das ist das Leben!: C'est la vie (German Edition)
Vorwort
Der folgende Text wird wohl alle überraschen, die mich durch meine anthropologischen Abhandlungen kennen. Mit großer Demut erkläre ich: Es ist eine »Phantasie«, die da aus meiner Feder geflossen ist, und sie hat eine Geschichte. Eines schönen Sommertages – wenn man so sagen kann, denn damals herrschte richtiges Hundewetter – bekam ich eine Postkarte aus Schottland. Jemand, den ich sehr mag, Professor Jean-Charles Piette, »Monsieur Piette«, wie ich ihn im Stillen nenne, schickte mir einen Gruß von der Insel Skye. Er begann mit den Worten: »Eine ›gestohlene‹ Woche Schottlandurlaub.«
Man muss wissen, dass dieser herausragende Arzt, Internist an der Pariser Klinik Pitié-Salpêtrière von seinen Patienten – darunter seit dreißig Jahren ich selbst – angebetet wird und nur für sie und seine Arbeit lebt. Ich erlebte ihn immer am Rande der physischen und psychischen Erschöpfung. Jedem Patienten widmet er ganze Stunden, es geht sogar so weit, dass er den letzten Patienten des Tages nach Hause begleitet, wenn dieser zu lange warten musste, oder dass er jemanden im Zug aufsucht (was er in einem Notfall einmal für mich getan hatte). Er war zu unglaublicher Großzügigkeit und zu genauso unglaublichen Kurzschlusshandlungen fähig. Und nun sprang mir diese Formulierung, »eine ›gestohlene‹ Woche«, buchstäblich ins Auge. Wer stiehlt hier was? Stiehlt er einer Welt, der er alles verdanken mochte, eine kleine Atempause, oder lässt er sich im Gegenteil nicht sein Leben rauben von dieser fordernden Umgebung, dieser drängenden Arbeit, diesen vielfältigen, erdrückenden Verantwortlichkeiten? Wir stehlen ihm das Leben. Er stiehlt sich selbst das Leben.
Ich begann, ihm sinngemäß zu antworten: Sie versagen sich jeden Tag das, was die Würze des Lebens ausmacht. Und wozu? Um dem Gefühl, niemals genug zu tun, zu entkommen? Kaum hatte ich begonnen, fand ich Gefallen an der Sache und fragte mich ernsthaft, was mein eigenes Leben ausmacht, ausgemacht hat und sicherlich weiterhin ausmachen wird. Nun folgt also eine Aufzählung, eine einfache Liste in einem einzigen langen Satz, der nach und nach von allein kam wie ein langer, gemurmelter Monolog: Empfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen, kleine Freuden, große Freuden, mitunter tiefe Enttäuschungen und sogar Leid, wenngleich sich mein Denken eher auf die lichtvollen Momente des Lebens richtete als auf die dunklen Augenblicke, die es auch gab.
In kleine, ganz allgemeine Begebenheiten, die jeder irgendwann einmal erlebt haben wird, mische ich nach und nach persönliche, dauerhafte Erinnerungen, die für immer in aussagekräftigen inneren Bildern festgehalten sind, scharfe Momentaufnahmen, die man, so glaube ich, in Worte übersetzen kann (in meine persönlichen, weiblichen Worte). Dieser Text soll eine Art Prosagedicht als Hommage an das Leben sein.
Ich denke, ich habe sicherlich ein eher sorgenfreies Leben gehabt. Ich hatte das Glück, einen Beruf auszuüben, dessen Fragestellungen der Existenz Tiefe und dem Alltag eine sehr seltene freudige Note verleihen. Ich habe immer gern gearbeitet und tue es noch. Ich hatte das Glück, weder Not leiden noch mich um des schieren Überlebens willen großen Anstrengungen unterziehen zu müssen wie Millionen anderer Menschen. Insofern könnte man meine Ansichten als hedonistisches Geschwätz einer vom Leben Begünstigten abtun. Dennoch bin ich geneigt zu glauben, dass meine Betrachtungen über die reine Sinnlichkeit auf konkrete Erfahrungen aller Menschen stoßen.
Der Leser wird mehrere Schichten vergangener Zeiten wahrnehmen. Ich bin vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, er hat mich sehr geprägt, ohne dass ich schwer darunter leiden musste – hat er mir doch im Gegenteil ermöglicht, während langer Ferien im Livradois in der Auvergne ein ländliches Leben kennenzulernen, das mittlerweile untergegangen ist. Meine Afrikareisen fließen in den Text genauso ein wie die Erfahrung der Krankheit. Und immer sind da Begegnungen, das Ungewöhnliche, der aufmerksame Blick auf die Natur, auf das, was sie hervorbringt, auf Tiere, Geräusche, Laute, Licht und Schatten, auf Geschmäcke …
Und vor allem auf andere Menschen.
Es werden sich keine oder nur sehr wenige Enthüllungen über mein Privatleben finden. Genauso wenig geht es um die Freuden des Geisteslebens, der Forschung, des Schreibens, auch wenn sie sehr intensiv sind.
Auch nicht um die Liebe, obwohl sie in meinem Leben großen Raum einnimmt – wie vermutlich
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