Das Ist Mein Blut
war er alleine, und er kam zu einer Zeit, zu der ich wusste, dass mein Nachbar zu Hause ist. Er pflegt nach der Arbeit bei mir zu klingeln, um sich zu vergewissern, dass ich noch lebe und nicht mit gebrochener Hüfte im Bad liege oder dergleichen. Ich wusste, dass ich nicht alleine war.« Sie erhob sich würdevoll. »Wenn das alles ist, wäre ich jetzt gerne für mich. Außer, Sie haben noch weitere Fragen.«
Eva erkundigte sich nach dem hilfsbereiten Nachbarn, eine Frage, die wie die übrigen auch eher widerwillig beantwortet wurde. »Kahlerts von gegenüber. Im Augenblick wird aber niemand da sein. Versuchen Sie es nach sechs Uhr.« Sie brachte sie zur Tür. »Auf Wiedersehen«, verabschiedete sie sich wieder freundlicher.
Sie hörten, wie die Kette wieder vorgehängt wurde, nachdem sie die Wohnung verlassen hatten.
14
»Weshalb reitest du heute so auf Kronauers Trinkgewohnheiten herum?«, wollte Eva wissen, als sie wieder vor der Tür standen. Sie schauten sich in der Straße um, als ob die ihnen mehr verraten könnte als sie wussten.
»Ich dachte an das Betäubungsmittel in seinem Blut«, antwortete er nachdenklich. »Hast du gesehen, dass Frau Hofmann einen ganzen Beistelltisch mit verschiedenen Medikamenten herumstehen hat? Deshalb wollte ich es wissen.«
Eva lachte auf. »Du glaubst doch nicht etwa, dass sie unseren Mann ermordet hat! Dann schon eher die Klara Weiß, und bei der glaube ich’s auch schon nicht.«
Rainer wiegte den Kopf. »Man soll keine voreiligen Schlüsse ziehen. Und wie es aussieht, könnte sie die Letzte gewesen sein, die den Mann lebend gesehen hat.«
»Sie kannte ihn nicht einmal, Rainer. Das ist doch absurd!«
»Sie sagt, sie kannte ihn nicht«, verbesserte er. »Was wissen wir schon, ob das wahr ist?«
»Okay, Rainer, pass auf. Ich gehe jetzt mal zu Fuß zu den Ruinen. Wie auch immer die Dinge liegen, Kronauer ist ja doch ziemlich sicher von hier aus dorthin gegangen. Vielleicht fällt mir irgendetwas auf. Nachher kümmere ich mich dann um den Nachbarn und frage ihn, ob er jemanden in der Nähe des Hauses gesehen hat. Kannst du mich später wieder hier abholen?«
»Sicher. Soll ich mich in der Zwischenzeit noch mal an Otto Glaubnitz heranmachen? Oder lieber zusehen, ob ich jemanden finde, der diese Elisabeth Baarer-Weiher kennt?«
»Ach Gott, die gibt es ja auch noch! Aber ich glaube, Glaubnitz ist erst mal wichtiger. Schau mal, wie weit du kommst, und lass dir diesmal keine Märchen von ihm erzählen.«
»Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit!« Rainer salutierte spöttisch und ging dann mit langen Schritten davon. Eva ließ sich währenddessen auf einer niedrigen Gartenmauer nieder, um ihre Gedanken zu sammeln. Dann sah sie auf die Uhr, unterdrückte einen Fluch, weil sie das Gefühl hatte, dass die Zeit ihnen unter den Fingern zerrann, ohne dass sie weiterkamen, und rief Irene auf ihrem Handy an.
»Schwierig, dein Fall?«, fragte Irene mitfühlend.
Ja, schwieriger Fall, dachte Eva grimmig, als sie ihren Mauerplatz verließ und sich auf den Weg Richtung Römerruinen machte, den aller Wahrscheinlichkeit nach auch Kronauer eingeschlagen hatte. Sie sah sich aufmerksam um, obwohl sie nicht erwartete, sehr viel Aufschlussreiches zu entdecken. Immerhin fiel ihr auf, dass der Weg ziemlich rasch von den Häusern wegführte und dass der Feldweg, in den sie dann einbog, von der Siedlung aus nicht einsehbar war. Wenn der Mörder Kronauer gefolgt war, anstatt mit ihm zusammen nach Sablonetum zu gehen, hatte er sich einigermaßen sicher sein können, von niemandem gesehen zu werden. Aber Kronauer selbst – Eva begriff noch immer nicht, weshalb ein Mann wie Kronauer so in die Falle hatte gehen können. Offensichtlich hatte er sich völlig sicher geglaubt, war sogar ohne sein Handy unterwegs gewesen. Gut, Frau Hofmann, die er kurz zuvor aufgesucht hatte, wirkte nun gerade nicht sehr kräftig, und der Gedanke, dass die alte Dame mit ihren fleckigen Greisinnenhänden und ihrer eigenen Furcht vor Fremden mit einem Küchenmesser hinter Kronauer hergeschlichen sein sollte, um ihn dann in den Ruinen zu töten … Unmöglich! Natürlich war da noch die Sache mit dem Betäubungsmittel. Und die mit dem Kelch. »Verdammt, verdammt, verdammt!«, stieß sie laut hervor. Und stolperte gleich darauf über eine hervorstehende Baumwurzel.
Der Feldweg, dem sie folgte, lag nördlich des Brachfelds, auf dem sie bisher nach Spuren gesucht hatten, und hier säumten schulterhohe
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