Das italienische Maedchen
atmete schwer.
»Bitte, Mamma, sag mir, was passiert ist.«
Antonia nahm eine Flasche Brandy aus einem Schrank, drehte sich zu Rosanna um und drückte ihr zu deren Überraschung einen Kuss auf die Stirn.
»Niemand ist krank, allen geht’s gut. Das erklären wir dir später. Sag Luca, dass Papà in ein paar Minuten hinunterkommt.« Antonia kehrte mit einem gequälten Lächeln ins Wohnzimmer zurück.
Rosanna ging zu Luca in die große Küche, wo dieser an der hinteren Tür eine Zigarette rauchte.
»Luca, was ist los? Papà brüllt, Carlotta weint, und Mamma sieht aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen.«
Luca nahm einen langen Zug an seiner Zigarette und stieß den Rauch durch die Nase aus. Dann trat er sie aus und kehrte in die Küche zurück. »Lust auf Lasagne? Die wär gerade fertig.« Er öffnete die Ofentür.
»Nein! Ich will wissen, was passiert ist. Papà schreit Carlotta sonst nie an. Sie muss was wirklich Schlimmes ausgefressen haben.«
Luca gab schweigend Lasagne auf zwei Teller, stellte diese auf den Küchentisch, setzte sich und deutete auf den Stuhl neben dem seinen.
» Piccolina , es gibt Dinge, die verstehst du noch nicht. Carlotta hat einen schlimmen Fehler begangen, deswegen ist Papà so wütend auf sie. Aber mach dir keine Gedanken. Die drei werden das schon klären. Es kommt alles wieder in Ordnung, das verspreche ich dir. Iss jetzt deine Lasagne und erzähl mir von deiner Stunde bei Signor Vincenzi.«
Rosanna, die wusste, dass sie ihm nichts mehr entlocken würde, nahm seufzend die Gabel in die Hand.
Rosanna wurde von leisem Weinen geweckt, setzte sich im Bett auf und blinzelte ins graue Licht der hereinbrechenden Morgendämmerung.
»Carlotta, was ist los?«, flüsterte sie.
Schweigen. Rosanna stand auf und ging zu ihrer Schwester hinüber. Um ihr Schluchzen zu dämpfen, hielt Carlotta sich ein Kissen übers Gesicht. Als Rosanna ihr vorsichtig einen Arm um die Schulter legte, nahm sie das Kissen weg.
»Nicht weinen. So schlimm kann’s doch nicht sein«, versuchte Rosanna ihre Schwester zu trösten.
»O doch … Ich …« Carlotta wischte sich die laufende Nase mit dem Handrücken ab. »Ich muss heiraten … Giulio!«
»Warum?«
»Weil ich einen Fehler gemacht habe. Aber Rosanna, ich liebe ihn nicht!«
»Wieso musst du ihn dann heiraten?«
»Weil Papà es sagt; er sieht keine andere Möglichkeit. Ich habe ihn angelogen wegen …« Wieder begann Carlotta zu schluchzen.
»Bitte wein nicht. Ich mag Giulio. Er ist ein guter Mann und hat Geld. Mit ihm wirst du eine große Wohnung haben und nicht mehr im Café arbeiten müssen.«
Carlotta bedachte ihre Schwester mit einem matten Lächeln. »Du hast ein gutes Herz, Rosanna. Vielleicht nehmen Mamma und Papà mehr Notiz von dir, wenn ich verheiratet bin.«
»Das ist mir nicht wichtig. Wir können nicht alle schön sein«, entgegnete Rosanna mit leiser Stimme.
»Schau nur, was meine Schönheit mir eingebracht hat! Ohne bist du besser dran. Ach, Rosanna, du wirst mir fehlen.«
»Und du mir. Wirst du schon bald heiraten?«
»Ja. Papà will morgen zu Giulios Vater gehen. Wahrscheinlich wird die Hochzeit noch diesen Monat stattfinden. Natürlich werden alle es sich denken können.«
»Was?«, fragte Rosanna.
Carlotta strich ihrer Schwester über die Haare. »Manche Dinge wirst du erst begreifen, wenn du älter bist. Bleib so lange wie möglich jung, kleine Schwester. Erwachsen zu werden macht nicht ganz so viel Spaß, wie du meinst. Und jetzt leg dich wieder ins Bett und schlaf.«
»Gut.«
»Rosanna?«
»Ja?«
»Danke. Du bist eine gute Schwester. Hoffentlich werden wir uns immer nahe sein.«
Rosanna legte sich, verständnislos den Kopf schüttelnd, wieder ins Bett.
Vier Wochen später stand Rosanna in einem blauen Brautjungfernkleid aus Satin hinter Carlotta, als diese Giulio ewige Treue schwor.
Anschließend fand eine Feier im Café statt. Carlotta war sehr blass und angespannt, und Antonia sah auch nicht viel besser aus. Marco hingegen öffnete fröhlich eine Flasche Prosecco nach der anderen und erzählte seinen Gästen von der hübschen Zweizimmerwohnung, in der das junge Paar leben würde.
Einige Wochen später besuchte Rosanna Carlotta in ihrem neuen Zuhause in der Nähe der Via Roma und bewunderte den Fernseher in der einen Ecke des Wohnzimmers.
»Giulio muss wirklich viel Geld haben, wenn er sich so einen Fernseher leisten kann«, rief Rosanna aus, als Carlotta Kaffee hereinbrachte und sie sich auf die Couch
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