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Das Jagdgewehr

Das Jagdgewehr

Titel: Das Jagdgewehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasushi Inoue
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darauf und machte, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, mit ihrem dicken Bleistift einen großen Kreis auf die leere Stelle. Das hieß: »Ich möchte lieben!« Noch heute erinnere ich mich genau, daß ich, obgleich mir eine solche Entschiedenheit fast abstoßend erschienen war, dadurch tief verwirrt wurde, so als hätte mich jemand geschickt aus einem Hinterhalt verwundet. Es handelte sich um eine nicht besonders begabte Schülerin unserer Klasse, ein unauffälliges, etwas düster wirkendes Mädchen. Ich weiß nicht, was aus diesem Kind, dessen Haare bräunlich schimmerten und das immer allein war, später geworden ist. Aber noch jetzt, nach zwanzig Jahren, muß ich, während ich dies niederschreibe, aus irgendeinem Grunde an das Gesicht dieses einsamen Mädchens denken.
    Wenn eine Frau am Ende ihres Lebens ruhig ihr Antlitz der Wand des Todes zukehrt, wird da Gott einer Frau, die das Glück, geliebt zu werden, genossen hat, oder einer Frau, die sagen kann, sie habe, obgleich sie dabei nicht glücklich wurde, mit heißem Herzen geliebt, – den ewigen Frieden schenken? Aber gibt es denn auf dieser Erde überhaupt Frauen, die vor Gott behaupten können, sie hätten geliebt? Ja, das gibt es. Jenes Mädchen mit den dünnen Haaren ist vielleicht zu einer von diesen wenigen Auserwählten herangereift. Mit wirren Haaren, am ganzen Leib verwundet und in abgerissenen Gewändern, erhebt sie wohl stolz ihr Gesicht zum Himmel auf und sagt: ich habe geliebt! Und dann tut sie den letzten Atemzug.
    Ach, wie ich es hasse! Ich möchte weit, weit fortlaufen! Aber das Gesicht dieses Mädchens holt mich immer wieder ein, so sehr ich mich auch bemühe, sie abzuschütteln. Ich bin nun am Ende meiner Kraft. Woher wohl diese furchtbare Unruhe vor dem Tode rührt, der in wenigen Stunden hier erscheinen wird? Ich werde jetzt unausweichlich als eine Frau bestraft, welche die Qual des Liebens nicht hat ertragen wollen und nur immer nach dem Glück, geliebt zu werden, jagte.
    Es macht sehr traurig, daß ich nach dreizehn Jahren eines Lebens, das dank Deiner großen Liebe glücklich war, Dir solches schreiben muß.
    Der Zeitpunkt, von dessen Kommen ich fest überzeugt war, der Augenblick, wo das auf dem Meer in Flammen stehende, unvergeßliche Boot zu Ende brennt, ist nun da. ich bin zu matt, um noch weiterzuleben. Endlich ist es mir gelungen, Dir mein wirkliches Ich zu zeigen. Es ist zwar nur ein Leben in einem ›letzten Brief‹ und dauert wohl auch nur fünfzehn oder zwanzig Minuten, aber es ist doch mein, Saikos, wirkliches Leben!
    Laß es mich am Schluß dieses Briefes noch einmal sagen: diese dreizehn Jahre waren wie ein Traum. Aber ich war, dank Deiner übergroßen Liebe, glücklich – glücklicher als irgend ein anderer Mensch auf Erden.

Als ich diese drei an Misugi gerichteten Briefe fertiggelesen hatte, war es schon tiefe Nacht geworden. Ich nahm aus meiner Tisch-Schublade Misugis Brief an mich heraus und überflog ihn noch einmal. Vor allem las ich immer und immer wieder diese folgenden bedeutungsvollen Sätze: »Am Jagen finde ich erst seit wenigen Jahren Gefallen. Ich bin zwar heute ein einsamer Mann, aber ich war früher, in meinem öffentlichen wie privaten Leben, sehr erfolgreich und glaubte, die Flinte über meiner Schulter nicht entbehren zu können.« Ich fühlte eine unerträgliche Dunkelheit in seiner einsamen und hübschen Handschrift. Mit Saikos Worten könnte ich sie vielleicht die Schlange nennen, die in ihm haust.
    Ich stand auf, begab mich an das nördliche Fenster meines Arbeitszimmers und schaute zu dem dunklen Märzhimmel auf, wo die blauen Funken der elektrischen Stadtbahn in der Ferne aufzuckten. Ich überlegte, was diese drei Briefe für Misugi wohl bedeutet hatten. Was erfuhr er aus ihnen? Sie enthielten doch eigentlich keine Tatsachen, die ihm neu gewesen wären. Hatte er nicht schon vorher die wahre Gestalt der Schlange Midoris und auch der von Saiko sehr wohl gekannt?
    Während ich mir die kalte Nachtluft übers Gesicht streichen ließ, stand ich lange am Fenster. Ich hatte das Gefühl, als sei ich leicht trunken. Ich legte meine Hände auf den Fensterrahmen und starrte in die Dunkelheit des kleinen, dicht mit Bäumen bestandenen Gartens unter dem Fenster, als sähe ich dort, was Misugi sein ›weißes Flußbett‹ genannt hat.

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