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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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ihnen etwas zugerufen, ich habe sie angefleht, zu mir zurückzukommen – aber sie sind in panischer Angst geflohen.«
    »Wie viele hast du gesehen?« fragte Katrina gespannt. »Waren es viele?«
    »Drei. Eine dreiköpfige Familie: Vater, Mutter und ein kleiner Junge. Ich habe sie von der Nordwestecke aus zwischen dem Zaun und dem Bahndamm gesehen. Alle drei waren glücklich und zufrieden, bis ich sie gerufen und mich ihnen gezeigt habe.«
    »Warum hast du das getan?« wollte Katrina aufgebracht wissen. »Warum hast du sie auf dich aufmerksam gemacht? Warum hast du sie nicht in Ruhe gelassen?«
    »Weil ich einsam war! Weil diese scheinbar leere Welt mich ganz krank gemacht hat! Ich habe diese Leute angerufen, weil sie die einzigen Lebewesen waren, die ich hier – abgesehen von einem erschrockenen Kaninchen – zu Gesicht bekommen hatte. Ich habe mich nach ihrer Gesellschaft gesehnt; ich wollte mit ihnen reden! Ich hätte ihnen alles geschenkt, was ich besaß, wenn sie mir nur eine einzige Stunde ihrer Zeit geopfert hätten. Katrina, ich wollte hören, ob es noch andere Menschen auf dieser Welt gibt.« Er beherrschte sich und fügte ruhiger hinzu: »Ich wollte mit ihnen reden und ihnen Fragen stellen, aber sie hatten solche Angst vor mir … Sie waren vor Entsetzen sprachlos, mein Anblick hat sie erschreckt, als wäre der Teufel vor ihnen aufgetaucht. Sie sind wie das Kaninchen geflüchtet, und ich habe sie auch später nicht mehr gesehen. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr mich das verletzt hat.«
    Sie entzog ihm ihre Hände und legte sie in den Schoß.
    »Katrina …«
    Sie sah nicht gleich auf, sondern hielt den Kopf weiterhin gesenkt und starrte die Tischplatte an. Ihre Finger hatten schmale Spuren im Staub zurückgelassen. Chaney hatte den Eindruck, sie sei jetzt noch kleiner und zusammengesunkener als vorher; ihr Gesicht schien in den letzten Minuten gealtert zu sein – oder vielleicht hatte dieser Prozeß schon bei den ersten Worten begonnen.
    »Katrina, bitte.«
    »Entschuldige, Brian«, sagte sie nach einer langen Pause. »Ich entschuldige mich für meine Kinder und für meine Freunde dort draußen, obwohl ich die Familie nicht einmal kenne. Sie haben nicht gewagt, dir zu trauen – keiner von ihnen –, und die arme Familie dachte, sie hätte alle Ursache, dich zu fürchten.« Als sie den Kopf hob, zuckte er zusammen. »Alle fürchten dich; seit der Rebellion traut dir niemand mehr. Ich bin hier die einzige, die sich nicht vor einem Schwarzen fürchtet.«
    Chaney war wieder verletzt – aber nicht durch ihre Worte, sondern weil sie weinte. Es war schmerzlich, sie weinen zu sehen.
     
    Brian Chaney kam zum zweitenmal in den Besprechungsraum. Er trug eine weitere Laterne, zwei Plastiktassen und eine Büchse Wasser aus dem Lagerraum. Er hatte eine Flasche Whisky mitbringen wollen, aber der Korvettenkapitän schien den Whisky im Lauf der Zeit an seinen Geburtstagen ausgetrunken zu haben.
    Die alte Frau hatte sich inzwischen die Tränen aus den Augen gewischt.
    Chaney schenkte die Tassen voll und stellte die erste vor Katrina auf den Tisch. »Komm, trink mit mir – wir bringen einen Toast aus!«
    »Worauf, Brian?«
    »Worauf? Brauchen wir denn einen Grund?« Seine Handbewegung umfaßte den ganzen Raum. »Auf die verdammte Uhr dort oben, die einundsechzig Sekunden abgezählt hat, während mir die Ohren weh getan haben. Auf das rote Telefon, das ich nie benutzt habe, um den Präsidenten anzurufen und ihm zu sagen, daß er ein Dummkopf ist. Auf uns, Katrina: auf einen Demographen der Indiana Corporation und eine Abteilungsleiterin des Amtes für Normung – die beiden letzten Eigenbrötler am Ende der Welt. Wir sind hier in der falschen Zeit und am falschen Ort; hier werden keine Demographen und keine Abteilungsleiterinnen gebraucht, weil es hier keine Firmen und Ämter gibt. Trinken wir also auf uns!«
    »Brian, du bist ein Clown.«
    »O ja!« Er setzte sich wieder und betrachtete sie im Laternenschein. »Ja, das bin ich. Und ich glaube, daß du beinahe wieder lachst. Bitte, lach für mich.«
    Katrina lächelte: der Schatten ihres früheren Lächelns.
    »Siehst du, deshalb liebe ich dich noch immer!« behauptete Chaney. Er hob seine Tasse. »Auf die schönste Abteilungsleiterin der Welt – und du darfst auf den frustriertesten Demographen der Welt trinken. Ex!« Chaney leerte die Tasse und stellte fest, daß das Wasser nicht schmeckte. Es schmeckte rostig und abgestanden.
    Katrina nickte ihm über ihre Tasse

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