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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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hatte mir saubere Kleider hingelegt. Fand ich rührend fürsorglich. Levi’s Jeans, weißes T-Shirt, Holzfällerhemd, sogar Unterhose, weiße Socken, ein gebügeltes Taschentuch.
    »Deine Sachen hab ich gewaschen«, sagte er. »Meine Mutter ist noch die nächsten zwei Tage bei ihrer kranken Schwester in Offenbach. So lange kannst du gern hier wohnen.«
    Sein Vertrauen streichelte meine Seele, aber ich sagte noch nicht zu, da ich ja unbedingt nach Hamburg wollte – obwohl es natürlich auf zwei Tage nicht ankam.
    Die Klamotten waren mir ein wenig zu weit, was mich nicht wunderte, denn Fred trug ein Speckpolster auf dem Körper.
    Wir tranken in der Küche Kaffee, aßen Toast mit Spiegeleiern, Toast mit Marmelade, aus Freds Zimmer dröhnte
King Creole
von Elvis Presley zu uns herüber. Fred hatte sich ebenfalls umgezogen: schwarzes Seidenhemd, schwarze Jeans, weiße Socken, schwarz-weiße Slipper, die Rocker-Tolle war wieder 1A in Form. Er sagte öfter ›goddam the hell‹, und es klang jedesmal wie eine subtile Botschaft.
    »Ich bin gestern aus dem Knast gekommen«, murmelte ich, wohl wissend, dass dieses Bekenntnis gewagt war, da Freds Herzenswärme möglicherweise stark abkühlen könnte. »Ich weiß ja nicht, ob du so einen in deiner Wohnung haben möchtest. Sieben Jahre. Ich hab ’ne Bank überfallen.«
    Das Gesicht meines Gegenübers leuchtete auf wie eine soeben angeknipste Neon-Werbung. Mit fliegenden Fingern zündete er sich eine filterlose Lucky Strike an, lehnte sich zuerst mit einem überraschten, aber keineswegs abweisenden Gesichtsausdruck zurück, dann beugte er den Oberkörper vor, starrte mir in die Augen, mit einem geradezu liebevollen Blick, atmete heftig, grinste nervös. »Ob du’s glaubst oder nicht – ich war auch schon im Knast. Dass du okay bist, hab ich gleich gesehn. Weißt du, warum ich gesessen habe? Anfang der 60er Jahre, als Student, you know, hab ich massenhaft Ami-Zigaretten verkauft. Damals hing ich ständig in Ami-Bars rum, in Frankfurt, Friedberg, Gießen. Ich kannte eine Menge GIs und kam so an amerikanische unverzollte Zigaretten ran. In der PX, dem amerikanischen Kaufhaus, in dem nur GIs und ihre Angehörigen einkaufen durften, kostete damals eine Stange, wenn ich mich nicht irre, einen Dollar. Viceroy, eine Edelmarke, kostete, glaub ich, anderthalb Dollar. Ich kaufte den Jungs die Stange für sechs Mark ab und verhökerte die Päckchen einzeln für eine Mark fuffzig. Irgendwann uferte das Geschäft ein wenig aus. Ich versorgte mittlerweile an die 100 Leute mit Ami-Zigaretten und verlor langsam den Überblick. Prompt hatte ich einen Zollfahnder als Kunden und musste anderthalb Jahre sitzen.« Er lehnte sich wieder, jetzt ganz entspannt, zurück. »Knast-Erfahrung gehört meiner Ansicht nach ebenso zu einem richtigen Leben wie eine Fahrt auf der Autobahn in einem 50er-Jahre-Ami-Schlitten mit beschissenen Stoßdämpfern und einem Kassettenrekorder, auf dem Elvis-Songs laufen, so Sachen wie
Good Rockin’ Tonight, That’s All Right Mama
oder
When It Rains, It Really Pours
. Dazu’n Flachmann mit Bourbon im Handschuhfach und ’ne filterlose Lucky Strike im Mundwinkel, so ganz lässig, you know?«
    Bedauernd lächelnd hob ich die Hände. »Dann fehlt mir noch was zum richtigen Leben. Ich geh mal davon aus, dass du diese Erfahrung schon gemacht hast.«
    Jetzt lächelte er. Mysteriös. »Wenn du wüsstest«, raunte er und war plötzlich ein geheimnisumwitterter Mensch.
    Duft und Geschmack des Kaffees, vermischt mit den anderen Gerüchen, die für eine bürgerliche Wohnung typisch waren, weckten Erinnerungen in mir, bittersüß, mit einem Stich ins Sentimentale. Ich hatte schon lange keine bürgerliche Wohnung mehr betreten. Es war dieser Geruch, in dem die Ahnung von verlorener Heimat schwebte, der mich zum Bleiben aufforderte. Zum Bleiben und zum Reden. In dieser Küche war es so gemütlich, dass ich anfing, Fred von mir zu erzählen:
    »Meine Eltern besaßen ein Restaurant in Würzburg, weißt du, ein traditionsbeladenes Lokal, das einen Namen in der Stadt hatte, und da war es klar, dass ich als einziges Kind Koch lernen sollte, um später den Laden zu übernehmen. Na ja, damals, Anfang der 60er, wurde ja die Autorität der Eltern noch nicht angezweifelt. Man glaubte damals noch, quasi automatisch, die Erwachsenen hätten, schon allein weil sie erwachsen waren, den großen Durchblick. Ich wär lieber Rock’n’Roll-Sänger geworden. Meine Stimme ist ziemlich gut, ähnelt der

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