Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
drin. Die ganze Geschichte. Meine Mutter machte auch gleich so ganz tiefe Augen und biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie auch tun? Dann bekam ihr Gesicht einen trotzigen Ausdruck.
»Ach was! Es ist, wie es ist. Das Baby ist unterwegs, und ich habe endlich einen Mann, der mir hilft. Und ich habe euch, und ich wette, wir kommen klar.«
Dann schaute sie uns fröhlich und herausfordernd an, grinste wieder in sich hinein. Sie schien von dem Baby irgendwie Kraft zu kriegen. Später wurde das noch stärker, je dicker sie wurde.
Die Flecken an Mellas Hals und der Krampf in meinem Unterkiefer konnten sowieso nichts ändern. Wir mussten uns ergeben, aber nicht wie bei einem großen Krach, nein. Das brachte nichts. Maria war nun mal unterwegs. Die Uhren tickten anders. Da war allerhand los und irgendwie war’s auch schön und sehr spannend.
Wir besichtigten Wohnungen und zogen in die vierte Etage eines schönen Fachwerkhauses. Unsere Wohnung ist ziemlich groß, jedenfalls für unsere Verhältnisse. Bisher hatten wir drei Zimmer, Küche und Bad. Jetzt haben wir vier echte Zimmer und einen kleinen Verschlag. »Für Gäste«, hat meine Mutter gleich gesagt. Jetzt steht da ein Sofa drin, das man auseinanderklappen kann. Dann ist Platz für zwei. In der Küche gibt es eine Speisekammer, die so groß ist, dass ein kleiner Mensch richtig gut reinpasst. Ich kann mir vorstellen, wo wir Maria später finden werden, wenn sie sich versteckt.
Ich teile ein Zimmer mit Mella. Es hat einen Balkon, von dem aus wir auf Kleingärten voller Blumen und Gemüse sehen. Carsten hat uns ein Hochbett gebaut. So was kann er. Außerdem stehen bei uns: eine Lümmelcouch mit einem kleinen Tisch und einem uralten Sessel, zwei Schreibtische und zwei schöne alte Schränke. Die haben wir aber schon, so lange ich denken kann. Auf dem einen steht in schnörkeliger Schrift »Mella«, auf dem anderen »Tine« – das bin ich. Die Zimmerwände sind tiefgelb, wenn es so eine Farbe gibt. Sattgelb, könnte man auch sagen. Wie Sonne am Abend nach einem langen, warmen Tag.
Kurz vor Ferienbeginn sind wir umgezogen. Es war schon fast Sommer. Ich hatte kurze Hosen an und der Bauch meiner Mutter war riesig. Sie konnte nichts mehr tragen. Sie stand nutzlos rum und meistens im Weg. Meine Omi kümmerte sich besorgt um sie. Das ging Mami zwar auf die Nerven, aber hilfreich war es schon, dass sie da waren, unsere neuen Großeltern. Schließlich ist Opa fit und packt richtig mit an, so dass alles ruck, zuck ging.
Für uns waren die beiden eine echte Sensation, denn die Eltern meiner Mutter sind schon lange gestorben und die von unserem Vater haben sich seit der Trennung nicht mehr blicken lassen. Sie hatten sich auch vorher nicht gerade aufgedrängt.
Und jetzt hatte Carsten diese Großeltern in unsere Familie mitgebracht. Als wir sie zum ersten Mal treffen sollten, war mir richtig komisch vor Angst. Sie kamen zu uns zu Besuch und ich hatte mir das so vorgestellt wie im Fernsehen: Wir sitzen alle steif um den Kaffeetisch herum, die Großeltern sehen altmodisch aus, und die Oma hat silbergraue Löckchen, die sie immerzu mit einer steifen Handbewegung nach oben schiebt. Alle versuchen, sich unauffällig zu beobachten, und wenn die alten Leute wieder weg sind, atmet die restliche Familie auf.
So hatte ich mir das gedacht, aber so war es gar nicht. Sie kamen und waren nur ein kleines bisschen altmodisch. Das schon. Vor allem Omis Löckchen, die sie tatsächlich hat. Allerdings kamen wir gar nicht zum vorsichtigen Beobachten, denn sie fragten uns gleich Löcher in den Bauch. Das war überhaupt nicht peinlich, denn es ging auch andersrum. Wir konnten einfach zurückfragen und dann haben sie geantwortet. Als wäre nichts dabei, zum ersten Mal unserer neuen Familie zu begegnen, noch dazu, wenn mit diesem unübersehbaren Babybauch die nächste Überraschung bevorstand.
Sie schienen sich sehr über den Zuwachs zu freuen. Nicht nur über das Baby, sondern auch über Mella und mich. Und über Mutter. Ganz offensichtlich. Sie kamen ein zweites Mal zum Geburtstag meiner Mutter zu Besuch und da habe ich mich schon richtig auf sie gefreut. Als ich hörte, dass sie uns beim Umzug helfen wollten, war das wie eine Versicherung, dass eigentlich nichts schiefgehen würde.
Und so saßen wir nun auf den Küchenstühlen, schnüffelten die frische Farbe, die neue Wohnung, sahen uns wortlos an – das kommt bei uns nicht oft vor! – und freuten uns wie die Schneekönige. Omi hatte eine
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