Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
zündet die Kerze an. Ich frage mich, warum. Aber danach fange ich an zu weinen. Als würde diese Kerze in mich reinleuchten, und alle meine Tränen fangen an zu glitzern wie das Meer, auf das die Sonne scheint. Und dann wollen sie raus, fort, weg.
Nachdem ich ungefähr zehn Stunden geheult habe, steht sie auf und kommt zu mir, hockt sich vor meinem Sessel hin und legt ihre Hand auf meinen Stein.
»Kann ich den jetzt wegnehmen?«
Ich sehe sie aus meinen verheulten Augen an, ziehe den Rotz hoch und kann beim Sprechen kaum verhindern, dass mir der Sabber aus dem Mund läuft. »Ja, danke.«
Sie bringt den Stein zurück zum Fenster und öffnet es. Kühle Frühlingsluft kommt hereingeweht und ich höre die Welt: Autolärm und Kindergeschrei, Vogelgezwitscher und die Straßenbahn. Sie geht kurz aus dem Zimmer und kommt mit einem Glas Wasser wieder. Ich fühle mich völlig leer. Doch sie kümmert sich um mich. Ich trinke hastig, ich habe solchen Durst. Die ganze Zeit schweige ich. Sie auch.
Dann schließt sie das Fenster, und während sie zu ihrem Sessel zurückgeht und sich wieder hinsetzt, sagt sie: »Das ist ein ganz schöner Brocken, den du da mit dir rumgeschleppt hast. Gut, dass du ihn los bist, was?«
Ich geh nach Hause, ich renne fast. Ich kann fliegen. Ich breite die Arme aus und taumle auf dem Fußweg hin und her, als wäre ich ein Flugzeug. Ich werfe den Kopf in den Nacken und sehe das helle Blau des Himmels zwischen den Häusern. Ich kann den Glanz der Sonne spüren. Über mir fliegen die Vögel. Gleich fliege ich neben ihnen her.
Die Leute schütteln die Köpfe. Na und? Ich bin so erleichtert. Es ist gar nicht mehr so schlimm. Endlich habe ich es jemand erzählt. Die Pfarrerin hat es sich angehört und dann hat sie mich getröstet. Ja, es ist eine doofe Geschichte und besonders blöd ist sie für Manu. Und Graf ist ein widerlicher Typ. Da habe ich recht und sie hat mir zugestimmt. Ich bin so froh.
Und dann hat sie mir geraten, das alles meiner Omi zu erzählen. Zuerst habe ich sie nicht verstanden. Warum meiner Omi? Sie hat es mir erklärt. Mit Omi könnte ich einen Plan schmieden, einen Lösungsplan. Sie sagte, ich bin wahrscheinlich noch zu jung, um Manu mit ihren sechzehn Jahren wirklich überzeugen zu können, dass sie sich da in eine total blöde Sache verrannt hat. Alle anderen, die mir eingefallen sind, die sich einmischen könnten, sind zu eng mit der Sache verbunden. Meine Mami fällt aus, weil sie meine Schule zu gut kennt und wahrscheinlich gleich irgendwas unternehmen müsste. Manus Eltern haben schon zu viel falsch gemacht. Ein Mann wie Carsten müsste endlich mal mit Graf reden, aber das will ich nicht anzetteln, auch wegen Manu.
Aber Omi, die weiß sicher eine Lösung. Auf jeden Fall könnte ich Manu fragen, ob sie zu Ostern mit zu meinen Großeltern fahren will. Und dort könnte Omi dann zum Zuge kommen. Ich könnte meine Freundin behalten und ihr außerdem noch helfen.
Als ich bei unserem Haus ankomme, merke ich, wie mein Mut langsam zusammenfällt. Geht das wirklich alles so? Wie wird Omi reagieren? Wird Manu überhaupt mit in die Sächsische Schweiz kommen wollen? Eigentlich hatten Ulli und ich den festen Plan, diese Reise zusammen zu machen. Darf ich Ulli jetzt hängenlassen? Oder könnten wir auch zu dritt fahren?
Egal, was passiert, ich muss Manu anrufen. Ich muss ihr sagen, was ich gemacht habe, dass ich das Schweigen gebrochen habe. Das hat die Pfarrerin auch gesagt, das ist das Wichtigste. Ich muss ihr auch sagen, dass ich auf keinen Fall als Alibi herhalte. Auch dabei hat mich die Pfarrerin unterstützt. Meiner Familie kann ich diese Geheimnisse nicht antun. Ich will Manu helfen, aber ich will niemanden anlügen. Das passt nicht zu mir. So hat sie sich ausgedrückt, die Pfarrerin. Woher sie das weiß?
Ich denke mir eine Reihenfolge aus, wie ich jetzt vorgehen werde. Zuerst Manu, dann Omi, dann Ulli. Ulli muss ich ja in die Osterpläne einweihen, falls die sich verändern sollten. Auf jeden Fall will ich mit Ulli und Opa wandern gehen, da lass ich keine Luft ran. Das andere muss dazu passen oder es fällt aus. So!
22
Wir wohnen jetzt ein Jahr in der neuen Wohnung. Maria wird auch bald ein Jahr. Ich bin vierzehn. Es ist Sommer und ich habe endlich wieder kurze Hosen an. Mella wird mit ihrer Ausbildung fertig und wir fahren in den Ferien nach Tschechien und machen einen Abstecher nach Prag. Zum neuen Schuljahr werde ich zurück an meine alte Mittelschule gehen.
Marias Taufe
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