Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
oder mal mir ein Bild. Also bitte. Na ja, eigentlich bin ich nicht mehr so klein, dass das gilt. Ich bin schließlich schon in der siebten Klasse. Vielleicht kauf ich meiner Mutter doch noch ein schönes Tuch. Ich habe eins bei Indigo gesehen. Das ist ein Laden in der Stadt, wo es indische Sachen gibt und so viele Räucherstäbchen abgebrannt werden, dass mir die Augen tränen. Aber schön ist es da. Da gibt’s auch so kleine Feengestalten, die Mella bestimmt gefallen würden. Aber wenn ich da einkaufen gehe, bin ich hinterher arm.
Ich habe mir jedenfalls ein Buch über Religionen gewünscht. Da hat Carsten gleich ein Geschenk für mich. Und die neue CD von Rosenstolz. Ich stehe auf die, weil sie auf Deutsch singen. In Englisch bin ich nämlich auch richtig schlecht. Bekanntlich bin ich ja in der Schule eine Niete. Ist aber erst, seitdem ich auf dem Gymnasium bin. Ich habe zwar die Empfehlung bekommen, aber der Streberstress dort macht mich alle. Meine Mutter schüttelt natürlich den Kopf darüber. Sie sagt: »Du bist so klug, Tine. Was hast du nur?«
Ich weiß es doch auch nicht. Ich fühle mich in der Schule wie in einem Aquarium, bloß dass ich kein Fisch bin. Ich habe Atemnot. Nur Sport geht. Und Bio ein bisschen. Dabei müsste ich ein naturwissenschaftliches Genie sein. Meine Mutter ist nämlich Mathematikerin. Ja, so was gibt’s. Sie arbeitet an der Uni, wenn sie nicht gerade zu Hause ist. Sie ist ein helles Köpfchen, meine Mutter.
Carsten ist übrigens Uhrmacher. Er hat von seinem Vater einen Laden übernommen. Der läuft schlecht. Kein Mensch lässt heute noch Uhren reparieren. Er ist außerdem aber auch noch Uhrenwärter und kontrolliert die meisten öffentlichen Uhren in der Stadt. Deshalb kennt er sie alle und weiß genau, wo sie sind, welcher Kirchturm eine Uhr hat und ob das Funkuhren sind oder echte alte mit einem alten Uhrwerk. »Eigentlich kannst du gut ohne Uhr auskommen«, sagt er immer, »weil es so viele öffentliche Uhren gibt. Du musst nur wissen, wo.« Na ja, er hat trotzdem eine Uhr am Arm und ich auch.
Mella macht seit letzten Herbst eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Sie ist selten zu Hause. Wenn sie nicht in der Schule ist, trifft sie sich mit Tom. Das ist ihr Freund. Der ist Student und hat ein eigenes Auto. Seine Eltern haben Knete, sagt Mella.
»Du wirst bequem«, mault meine Mutter, wenn Tom unten wartet, um sie irgendwo hinzubringen. »Wann hast du das letzte Mal das Rad genommen?« Außerdem verhandelt sie jeden Abend mit ihr, wann sie zurück sein muss. Mella verdreht die Augen und kocht vor Wut. Aber meine Mutter ist unerbittlich.
»Andere Mädchen dürfen schon bei ihren Freunden schlafen«, motzt Mella.
Falscher Weg. Das geht immer schief. Vergleiche kann meine Mutter nicht leiden. Wenn wir früher, als wir noch kleiner waren, sagten, dass unsere Freundinnen dies und das durften, war ihre Standardantwort: »Frag doch mal bei ihren Eltern nach, ob sie dich adoptieren. Vielleicht willst du ja lieber bei ihnen wohnen?« Das hat sie mit solchem Ernst gesagt, dass ich immer sofort zurückgerudert bin. Das wollte ich nicht riskieren.
Jetzt kommt sie damit nicht mehr. Wie auch? Mella würde garantiert sagen: Klar will ich bei Tom wohnen. Obwohl, ganz sicher bin ich mir nicht. Es ist nämlich wirklich schön bei uns, das muss ich sagen. Mella denkt das sicher auch. Wir reden einfach viel miteinander. Und es geht sehr temperamentvoll zu bei uns und Maria ist überhaupt der Gipfel der Freude.
»Mitternacht«, sagt Mella. Es ist wie auf dem Trödelmarkt. Mella steigt hoch ein, um gut was rauszuhandeln.
»Heute?«, sagt Mutter. »Um zehn!«
»Was? Ich bin doch kein Baby mehr.«
»Du hast morgen Schule. Halb elf ist mein letztes Wort.«
Mella geht los. Da guckt meine Mutter noch mal durch die Küchentür und fragt: »Warum kommt Tom eigentlich nie mit hierher?«
Mir wird mulmig. Es stimmt. Steffen, der Freund vorher, war oft hier. Er ging auch mit Mella in eine Klasse. Tom ist schon so erwachsen.
»Weil das hier ein Kindergarten ist.« Zack! Mella schmeißt die Tür hinter sich zu und donnert die Treppe runter. Weg ist sie. Maria fängt an zu weinen, der Krach hat sie aufgeweckt. Meine Mutter wäscht sich die Hände, streicht sie an den Jeans ab und geht zu ihr ins Zimmer.
Was für ein Durcheinander! Ich wollte meine Mutter auch noch was fragen. Schon seit Wochen will sie mir zeigen, wie man CDs brennt. Ich kann das nicht. Bei uns ist meine Mutter der Computerfreak, und
Weitere Kostenlose Bücher