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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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dann ebenfalls hinaus und bekreuzigte mich nur, weil ich nicht auffallen wollte. Es fühlte sich albern an. Noch so eine bizarre menschliche Verhaltensweise für die Anthropologie-Lehrbücher. So wie mit schaukelndem Kopf vor einer Wand zu stehen, sich in Richtung einer nahöstlichen Stadt auf den Boden zu werfen oder einen Arm steif in die Luft zu strecken und «Sieg Heil» zu brüllen. Nichts davon bedeutet irgendetwas anderes als eine Menge Ärger. Wenn mich die Geschichte eines glauben gelehrt hat, dann, wie gefährlich es ist, zu sehr an irgendetwas zu glauben. Vor allem in Deutschland. Wir nehmen den Glauben viel zu ernst.

14
    Zwei Tage gingen ins Land. Der Mann vom Wetterbericht auf Radio München hatte Föhn angekündigt. Wenn man durch München ging, spürte man, wie man von dem Wind ein trockenes Gesicht und tränende Augen bekam. Aber vielleicht trank ich ja auch nur zu viel in letzter Zeit.
    Die Amerikaner nahmen den Föhn natürlich besonders ernst und behielten ihre Kinder im Haus, um sie davor zu schützen, fast als führte er etwas mit sich, das gefährlicher war als nur ein paar positiv geladene Ionen. Vielleicht wussten sie ja etwas, was wir nicht wussten. Nachdem die Russen vor einem Monat ihre Atombombe gezündet hatten, war alles denkbar. Vielleicht transportierte der Föhn ja wirklich gefährliche Substanzen. Wie auch immer, jedenfalls erfüllte der Wind einen wichtigen Zweck. Die Münchner machten ihn schlichtweg für alles verantwortlich. Manche behaupteten, er verschlimmere ihr Asthma, bei anderen war es das Rheuma, und nicht wenige klagten über Kopfschmerzen. Wenn die Milch komisch schmeckte, war es der Föhn. Und wenn das Bier schal war, war der Wind ebenfalls schuld. Die Frau, die in Schwabing unter mir wohnte, behauptete, der Föhn störe den Empfang ihres Transistorradios. Und in der Tram hörte ich einmal sogar, wie ein Mann erklärte, er sei wegen des Föhns in eine Schlägerei geraten. Ich nehme an, es war einfach mal was anderes, als alles den Juden in die Schuhe zu schieben. Auf jeden Fall aber machte diese spezielle Wetterlage die Leute missmutig und gereizt. Vielleicht hat ja der Nationalsozialismus deshalb hier seinen Ausgang genommen. Ich habe noch nie von irgendwelchen Umstürzlern gehört, die nicht missmutig und gereizt gewesen wären.
    Ein solcher Nachmittag war es also, als ich wieder in die Wagmüllerstraße ging und vor dem Schaufenster der Kunstgalerie neben dem Rotkreuzgebäude stehen blieb. Ich war ein wenig zu früh dran. Ich bin meistens ein wenig zu früh dran. Wenn Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige ist, dann gehöre ich zu den Leuten, die gern ein, zwei Stunden vorher da sind, um nachzuschauen, ob sich irgendwo unter dem roten Teppich eine Tretmine verbirgt.
    Die Galerie nannte sich Oscar & Shine. Die meisten Kunsthandlungen der Stadt lagen in der Gegend um die Brienner Straße. Sie handelten mit Sezessionisten und Münchner Postimpressionisten. Das hatte ich jedenfalls einmal am Schaufenster einer Galerie in der Brienner Straße gelesen. Diese Galerie hier unterschied sich allerdings ein wenig von den anderen. Vor allem drinnen. Da sah sie aus wie eins dieser Bauhaus-Gebäude, über die sich die Nazis immer so entrüstet hatten. Aber diese futuristische Anmutung rührte nicht nur von der freitragenden Treppe und den Ständerwänden her. Die ausgestellten Gemälde wirkten ebenso modern, was hieß, dass sie fürs Auge etwa so angenehm waren wie ein spitzer Stock.
    Ich weiß, was mir gefällt. Und das meiste, was mir gefällt, gilt nicht als Kunst. Ich mag Bilder, die etwas darstellen, und ich mag Dekoratives. Eine Zeitlang habe ich sogar die Zinkgussfigur einer Banjospielerin besessen. Es war keine Skulptur, sondern einfach nur ein Kitschobjekt, das auf meinem Kaminsims stand, neben einem Foto von Gath, meiner Heimatstadt im Land der Philister. Wenn ich will, dass mir ein Bild etwas sagt, schaue ich mir Maureen O’Sullivan in einem Tarzanfilm an.
    Während ich in der Galerie umherwanderte, verfolgte mich der wachsame Periskopblick einer Frau in einem schwarzwollenen Schneiderkostüm. Wegen des Föhns bereute sie vermutlich schon, das angezogen zu haben. Sie war dünn, etwas zu dünn, und die lange Elfenbeinzigarettenspitze in ihrer Hand hätte ebenso gut einer ihrer knochigen, elfenbeinfarbenen Finger sein können. Ihr langes, braunes Haar war zu einer Rolle zusammengedreht. Sie kam auf mich zu, die Arme defensiv vor der Brust verschränkt, für den

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