Das Janusprojekt
Kube-Mord verdächtigte, leitete ich sofort eine weitere Untersuchung ein, worauf mir von der Gestapo befohlen wurde, die Sache fallenzulassen. Ich weigerte mich und fand mich ziemlich plötzlich an der Ostfront wieder. Aber das alles konnte ich Pater Gotovina wohl kaum erzählen. Er wollte bestimmt nicht hören, wie nahe mir Kubes Schicksal gegangen war. Es hätte auch meins sein können.
«Wenn ich mir’s recht überlege», sagte ich, «weiß ich doch, was aus diesen achttausend Juden geworden ist. Sechstausend kamen nach Sobibor. Und zweitausend wurden zusammengetrieben und in Maly Trostinec erschossen.»
«Und wir alle leben glücklich und zufrieden bis auf den heutigen Tag», sagte Gotovina. Er lachte. «Für jemanden, der nur mit NKWD-Todesschwadronen befasst war, wissen Sie aber ziemlich genau, was in Minsk vor sich gegangen ist, Herr Gunther. Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, Sie sind einfach nur bescheiden. Die letzten fünf Jahre mussten Sie Ihr Licht unter den Scheffel stellen, wie es so schön in Lukas elf, Vers dreiunddreißig, heißt.»
«Sie haben die Bibel tatsächlich gelesen», sagte ich einigermaßen überrascht.
«Natürlich», sagte er. «Und jetzt bin ich bereit, den guten Samariter zu spielen und Ihnen zu helfen. Geld. Ein neuer Pass. Eine Waffe, falls Sie eine brauchen. Ein Visum für ein Reiseziel Ihrer Wahl, solange es in Argentinien liegt. Dort sind derzeit die meisten unserer Freunde.»
«Wie ich schon erwähnte, Pater», sagte ich, «ich will kein neues Leben.»
«Was wollen Sie dann, Herr Gunther?» Ich hörte, wie bei ihm alle Alarmglocken zu läuten begannen.
«Ich werde es Ihnen erklären. Inzwischen bin ich Privatdetektiv. Ich habe eine Kundin, die wissen möchte, was aus ihrem Mann geworden ist. Einem SS-Mann. Sie müsste längst eine Postkarte aus Buenos Aires bekommen haben, hat aber seit über dreieinhalb Jahren nichts mehr von ihm gehört. Also hat sie mich engagiert, damit ich ihr helfe, etwas über seinen Verbleib in Erfahrung zu bringen. Das letzte Mal hat sie ihn in Ebensee in der Nähe von Salzburg gesehen, im März ’46. Da hatte er bereits Kontakt mit dem Netzwerk aufgenommen. Er wartete in einem sicheren Versteck auf seine neuen Papiere und die Schiffskarten. Sie will ihm nichts anhaben. Sie will nur wissen, ob er noch lebt. Sie möchte nämlich wieder heiraten. Verstehen Sie, das Problem ist, dass sie vom selben Verein ist wie Sie, Pater. Eine gute Katholikin.»
«Hübsche Geschichte», sagte er.
«Mir hat sie gefallen.»
«Sagen Sie nichts.» Das Lachen nahm jetzt einen völlig anderen Charakter an. Es klang ein bisschen überdreht. «Sie sind der Kerl, den sie heiraten will.»
Ich wartete, bis er sich wieder fing.
«Nein, Pater, es ist genau so, wie ich sage. In dieser Hinsicht zumindest bin ich wie ein Priester. Die Leute kommen mit ihren Problemen zu mir, und ich versuche, ihnen zu helfen. Der einzige Unterschied ist, dass mich der Bursche am Hochaltar nicht unterstützt.»
«Hat diese gute Frau einen Namen?»
«Ihr Name ist Britta Warzok. Ihr Mann heißt Friedrich Warzok.» Ich erzählte ihm, was ich über Friedrich Warzok wusste.
«Er ist mir jetzt schon sympathisch», sagte Pater Gotovina. «Drei Jahre kein einziges Wort? Da könnte er allerdings tot sein.»
«Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie auf gute Nachrichten hofft.»
«Warum sagen Sie ihr dann nicht einfach, was sie hören will?»
«Das wäre unethisch, Pater.»
«Man braucht schon Mumm, so mit mir zu reden», sagte er ruhig. «Solche Männer schätze ich. Die alten Kameraden sind, nun, sagen wir, leicht zu beunruhigen. Diese Sache in Landsberg mit den Rotjacken macht es nicht besser. Und die Gefahr weiterer Hinrichtungen erst recht nicht. Der Krieg ist jetzt seit vier Jahren vorbei, und die Amis versuchen immer noch, Leute zu hängen wie irgendein tumber Sheriff in einem billigen Wildwestfilm.»
«Ja, ich verstehe, warum das einige meiner alten Kameraden nervös macht», sagte ich. «Es gibt kein wirksameres Mittel als den Galgen, um einen Mann dazu zu bringen, seine Skrupel über Bord zu werfen.»
«Ich werde sehen, was ich herausfinden kann», sagte er. «Wir treffen uns übermorgen in der Kunstgalerie neben dem Roten Kreuz. Um fünfzehn Uhr. Falls ich mich verspäte, haben Sie dort wenigstens Beschäftigung.»
Am Beichtstuhl gingen Leute vorbei. Pater Gotovina zog den Vorhang auf, trat hinaus und mischte sich unter die Gläubigen. Ich wartete ein Weilchen, ging
Weitere Kostenlose Bücher