Das Janusprojekt
Fall, dass sich die Notwendigkeit ergäbe, mir einen ihrer spitzen Ellbogen in die Seite zu rammen, und nickte zu dem Bild hin, das ich mir mit dem fundierten Urteil und dem sicheren Geschmack des kultivierten Kenners ausgesucht hatte.
«Was meinen Sie?», fragte sie und deutete mit der Zigarettenspitze auf die Wand.
Ich legte den Kopf schief, in der Hoffnung, ein etwas anderer Blickwinkel würde mich in die Lage versetzen, so qualifiziert zu antworten wie Bernard Berenson. Ich versuchte, mir den verrückten Kerl vorzustellen, der so etwas gemalt hatte, sah aber immer nur einen betrunkenen Schimpansen vor mir. Ich machte den Mund auf, um etwas zu sagen. Und machte ihn wieder zu. Da waren eine rote Linie in die eine Richtung, eine blaue in die andere und eine schwarze, die so tat, als hätte sie mit den beiden anderen nicht viel zu tun. Klar, es war moderne Kunst. So viel erkannte ich. Und überdies war es mit dem handwerklichen Können von jemandem ausgeführt, der die Kunst der Lakritzherstellung gründlich studiert hatte. Dass es hier an der Wand hing, gab vermutlich den Fliegen, die sich aus dem Föhn durchs offene Fenster hereinflüchteten, Stoff zum Nachdenken. Ich sah es mir noch einmal an und merkte, dass es mir wirklich etwas sagte. Es sagte: «Lach nicht, irgendein Idiot wird für mich gutes Geld hinlegen.» Ich zeigte auf die Wand und sagte: «Ich meine, Sie sollten etwas gegen den feuchten Fleck da tun, bevor er sich ausbreitet.»
«Das ist ein Kandinsky», sagte sie, ohne mit einer ihrer Harkenzinkenwimpern zu zucken. «Er war ein Maler, der enormen Einfluss auf seine Generation hatte.»
«Und wer hat ihn beeinflusst? Johnny Walker? Oder Jack Daniels?»
Sie lächelte.
«Na bitte», sagte ich. «Ich wusste, Sie können es. Was mehr ist, als ich über Kandinsky sagen könnte.»
«Es gibt Leute, denen so was gefällt», sagte sie.
«Ach, warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Dann nehme ich zwei.»
«Ich wollte, Sie würden eins kaufen», sagte sie. «Das Geschäft geht heute ein bisschen mau.»
«Das liegt am Föhn», erklärte ich.
Sie knöpfte ihre Jacke auf und fächelte sich mit einem der Aufschläge Luft zu. Irgendwie tat mir das auch wohl. Nicht nur wegen der duftenden Brise, die es erzeugte, sondern auch wegen der tiefausgeschnittenen Seidenbluse, die sie unter der Jacke trug. Wenn ich Künstler gewesen wäre, hätte ich es inspirierend genannt. Oder wie immer Künstler es nannten, wenn sich die Brustwarzen einer Frau durch ihre Bluse abzeichneten wie zwei Hutknöpfe in einer Kirchenbank. Sie war durchaus ein bisschen Kohle und Zeichenpapier wert.
«Vermutlich», sagte sie und blies eine Rauchwolke nach oben. «Sagen Sie, sind Sie hier hereingekommen, um sich die Sachen anzusehen oder nur um Spaß zu haben?»
«Sowohl als auch vermutlich. Das hat Lord Duveen jedenfalls empfohlen.»
«Für einen Kunstbanausen sind Sie ja ganz gut informiert, was?»
«Wahre Dekadenz besteht auch darin, nichts zu ernst zu nehmen», sagte ich. «Am allerwenigsten dekadente Kunst.»
«Denken Sie wirklich so? Dass das hier dekadent ist?»
«Ich will ehrlich sein», sagte ich. «Das alles hier gefällt mir nicht im Geringsten. Aber es freut mich, dass es ausgestellt werden kann, ohne dass sich irgendwelche Leute einmischen, die so wenig von Kunst verstehen wie ich. Mir das hier anzusehen, ist für mich, wie in den Kopf von jemandem zu schauen, der in fast allem anderer Meinung ist als ich. Es ist mir unbehaglich.» Ich schüttelte den Kopf und sagte seufzend: «Das ist wohl Demokratie.»
Ein anderer Interessent kam herein. Er kaute Kaugummi. Er trug riesige englische Halbschuhe und eine Kodak-Box um den Hals. Ein echter Kenner. Jedenfalls jemand mit viel Geld. Die Frau ließ mich stehen, um ihn durch die Ausstellungsräume zu geleiten. Kurz darauf erschien Pater Gotovina, und wir verließen die Galerie. Wir gingen in den Englischen Garten und setzten uns auf eine Bank neben dem Rumford-Denkmal. Wir zündeten uns Zigaretten an und ignorierten den warmen Wind im Gesicht. Ein Eichhörnchen kam den Weg entlanggesprungen wie ein entflohener Pelzkragen und verharrte neben uns, in der Hoffnung, dass etwas abfiel. Gotovina schnippte sein Streichholz nach dem Tier und trat dann mit einer blankgewienerten, schwarzen Stiefelspitze danach. Der Priester war offenbar kein Naturfreund.
«Ich habe ein paar Erkundigungen über den Ehemann Ihrer Kundin eingeholt», sagte er, ohne mich dabei anzusehen. In der hellen
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