Das Janusprojekt
bekreuzigte sich und sah dann gerade in dem Moment auf, als sich eine Wolke vor die Sonne schob und ein Schatten über uns hing wie über zwei verdammten Seelen bei Dante.
«Danach verlegten sie sich auf einfachen Mord. Mit Hilfe von Juden beim britischen und amerikanischen Geheimdienst richteten sie Dokumentationszentren in Linz und Wien ein und begannen, sogenannte Kriegsverbrecher aufzuspüren, wobei sie die jüdische Auswanderungsorganisation als Tarnung benutzten. Sie hefteten sich an Männer, die aus Internierungslagern entlassen wurden. Die waren leicht zu verfolgen, vor allem, wenn man Tipps von den Alliierten bekam. Und dann, wenn es so weit war, wurde hingerichtet. Zunächst hängten sie ein paar Leute auf. Aber einer überlebte, und danach gingen sie immer nach demselben Muster vor. Das flache Grab, der Genickschuss. Als ob sie das nachmachen wollten, was die ganzen Ordensbataillone in Osteuropa getan hatten.»
Gotovina gestattete sich ein kleines Lächeln, in dem fast schon Bewunderung lag. «Sie waren sehr effizient. Die Zahl der von der Nakam ermordeten alten Kameraden liegt zwischen ein- und zweitausend. Das wissen wir, weil es einigen Leuten aus unserer Wiener Gruppe gelang, einen von ihnen zu schnappen. Vor seinem Tod erzählte er noch, was ich Ihnen eben berichtet habe. Sie sehen also, es sind jetzt die Juden, vor denen Sie auf der Hut sein müssen, Herr Gunther. Nicht die Briten oder die Amis. Die kümmert einzig und allein der Kommunismus, und gelegentlich haben sie sogar geholfen, unsere Leute aus Deutschland hinauszubringen. Nein, heutzutage sind es die Judenjungen, vor denen Sie sich in Acht nehmen müssen.»
«Und was heißt das alles für meine Kundin?»
«Hören Sie denn nicht zu, Gunther? Warzok ist tot. Wenn er noch lebte, würde er jetzt Tango tanzen, so viel ist sicher. Wenn er dort wäre, hätte sie von ihm gehört, glauben Sie mir.»
«Ich meine, was heißt das für sie aus der Sicht der katholischen Kirche?»
Gotovina zuckte die Achseln. «Sie wartet noch ein Weilchen und beantragt dann ein offizielles kirchenrechtliches Verfahren, das feststellt, ob sie frei ist für eine neue Eheschließung.»
«Ein offizielles Verfahren?», sagte ich. «Sie meinen, mit Zeugenaussagen und allem Drum und Dran?»
Gotovina sah angewidert weg. «Vergessen Sie’s, Gunther», sagte er. «Der Erzbischof würde mir ans Kollar gehen, wenn er nur ein Zehntel von dem wüsste, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Es kommt nicht in Frage, dass ich jemals irgendetwas davon wiederhole. Nicht vor einem Kirchengericht. Nicht vor ihr. Und noch nicht mal vor Ihnen.» Er stand auf und starrte auf mich herab. Mit der Sonne im Rücken schien er gar nicht wirklich da, nur der Schattenriss eines Mannes. «Und jetzt noch ein guter Rat. Lassen Sie die Finger davon. Legen Sie die ganze Sache zu den Akten. Das Netzwerk mag keine Fragen, und es mag keine Schnüffler – noch nicht mal Schnüffler, die glauben, sie kommen damit durch, weil sie mal eine Tätowierung unter der Achsel hatten. Leute, die zu viele Fragen stellen, enden als Leichen. Habe ich mich klar ausgedrückt, Schnüffler?»
«Es ist eine ganze Weile her, dass mir das letzte Mal ein Priester gedroht hat», sagte ich. «Jetzt weiß ich, wie sich Martin Luther gefühlt hat.»
«Luther ist nichts dagegen.» Gotovina klang jetzt richtig wütend. «Und nehmen Sie nie wieder Kontakt mit mir auf. Nicht mal, wenn Ben Gurion Sie auffordert, um Mitternacht in seinem Garten ein Loch zu graben. Ist das klar, Schnüffler?»
«So klar, als ob es von der Inquisition persönlich gekommen wäre, mit einem hübschen Bändchen und einem Bleisiegel mit dem Porträt des heiligen Petrus.»
«Gut, also merken Sie sich’s auch!»
«Deshalb ist das Siegel ja aus Blei, oder? Als ständige Mahnung?»
«Hoffentlich. Aber Sie haben das Gesicht eines Ketzers, Gunther. Das ist schlecht für jemanden, der seine Nase keinesfalls in Sachen stecken sollte, die ihn nichts angehen.»
«Sie sind nicht der Erste, der mir das sagt, Pater», erwiderte ich und stand auf. Im Stehen war ich solchen Drohungen eher gewachsen. Aber was meine Ketzernatur anging, hatte der Priester recht. Beim Anblick seines Domkuppelkopfs, seines Kreuzes und seines Priesterkragens wollte ich nur eins: geradewegs nach Hause gehen und fünfundneunzig Thesen in die Maschine hacken, um sie an seine Kirchentür zu nageln. Ich versuchte, mich dankbar für seine Auskünfte zu geben, sogar ein wenig reuig, aber ich
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