Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
hausgemachtem Krautsalat mit Speck. Ich hatte meine Fleischmarken aufgespart.
    Ein paar Bier und eine Dampfnudel später machte ich mich auf den Weg zur Heilig-Geist-Kirche im Tal. Wie das meiste in München war auch sie zerbombt worden. Der Treffer hatte Dach und Deckengewölbe völlig zerstört, das Interieur verwüstet. Aber man hatte die Pfeiler wieder errichtet und das Dach so weit repariert, dass der Gottesdienstbetrieb möglich war. Es war gerade eine Messe im Gange, als ich die halb leere Kirche betrat. Ein Priester stand mit dem Gesicht zu dem immer noch imposanten Hochaltar, und seine singende Stimme hallte durch das skelettartige Kircheninnere wie die von Pinocchio durch das Innere des Wals. Ich spürte, wie sich meine Nase vor protestantischem Abscheu rümpfte. Mich empörte die Vorstellung von einem Gott, der es ertragen konnte, dass man ihm in diesem misstönenden römisch-katholischen Singsang huldigte. Nicht dass ich mich als Protestanten bezeichnet hätte. Nicht, seit ich wusste, wie man Friedrich Nietzsche buchstabierte.
    Ich fand Pater Gotovina unter den Überresten der Orgelempore, neben dem Bronzegrabmal Herzog Ferdinands von Bayern. Ich folgte ihm zu einem Beichtstuhl. Er schob einen grauen Vorhang beiseite und stieg hinein. Ich tat das Gleiche auf der anderen Seite und kniete mich vor das Gitter, so wie ich annahm, dass es Gott wohlgefällig war. Im Inneren war es gerade so hell, dass ich den Billardkugelschädel des Priesters erkennen konnte. Oder jedenfalls ein Stück davon – ein Stück glänzender Haut, das aussah wie der Deckel eines Kupferkessels. In der Enge und dem Halbdunkel des Beichtstuhls klang seine Stimme besonders infernalisch. Er legte sie wahrscheinlich vor dem Zubettgehen auf einen gefetteten Rost und räucherte sie über Nacht mit Hickoryholz.
    «Erzählen Sie mir ein bisschen von sich, Herr Gunther?», sagte er.
    «Vor dem Krieg war ich Kommissar bei der Kripo», erklärte ich. «So kam ich zur SS. Ich war in Minsk, als Mitglied der Einsatzgruppe unter Arthur Nebe.» Meinen Dienst bei der Wehrmacht-Untersuchungsstelle ließ ich ebenso beiseite wie meine Zeit als Nachrichtenoffizier bei der Abwehr. Die SS hatte die Abwehr nie leiden können. «Ich stand im Rang eines SS-Oberleutnants.»
    «In Minsk wurde eine Menge guter Arbeit geleistet», sagte Pater Gotovina. «Wie viele haben Sie liquidiert?»
    «Ich war beim Polizeibataillon», sagte ich. «Unsere Aufgabe war es, uns um die NKWD-Todesschwadronen zu kümmern.»
    Gotovina schmunzelte. «Mir gegenüber brauchen Sie nicht schüchtern zu sein, Oberleutnant. Ich bin auf Ihrer Seite. Und für mich macht es keinen Unterschied, ob Sie fünf getötet haben oder fünftausend. Auf jeden Fall haben Sie Gottes Werk verrichtet. Jude und Bolschewik werden immer Synonyme sein. Nur sind die Amerikaner zu dumm, um das zu begreifen.»
    Draußen in der Kirche begann jetzt der Chor zu singen. Ich hatte zu hart geurteilt. Es klang wesentlich lieblicher als Pater Gotovina.
    «Ich brauche Ihre Hilfe, Pater», sagte ich.
    «Natürlich. Deshalb sind Sie ja hier. Aber eins nach dem anderen. Ich muss sicher sein, dass Sie der sind, für den Sie sich ausgeben, Herr Gunther. Ein paar simple Fragen dürften genügen. Nur um meines Seelenfriedens willen. Können Sie mir beispielsweise sagen, wie der Treueschwur der SS lautete, den Sie geleistet haben?»
    «Ich kann Ihnen sagen, wie er lautete», sagte ich. «Aber zu leisten brauchte ich ihn nie. Als Kripobeamter bin ich mehr oder minder automatisch zur SS gekommen.»
    «Lassen Sie es mich trotzdem hören.»
    «Wenn’s sein muss.» Die Worte blieben mir fast im Hals stecken. «Ich schwöre dir, Adolf Hitler, als Führer und Kanzler des Reiches, Treue und Tapferkeit. Ich gelobe dir und den von dir bestimmten Vorgesetzten Gehorsam bis in den Tod, so wahr mir Gott helfe.»
    «Sie sagen das so hübsch auf, Herr Gunther. Fast wie etwas aus dem Katechismus. Und das, obwohl Sie den Schwur nie zu leisten brauchten?»
    «In Berlin war immer alles ein bisschen anders als im übrigen Deutschland», sagte ich. «Man war in solchen Dingen immer etwas lockerer. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der erste SS-Mann bin, der Ihnen erzählt, dass er den Schwur nie geleistet hat.»
    «Vielleicht will ich Sie ja nur testen», sagte er. «Um herauszufinden, wie ehrlich Sie sind. Ehrlich währt am längsten, meinen Sie nicht auch? Schließlich sind wir hier in einer Kirche. Da wäre es nicht ratsam zu lügen.

Weitere Kostenlose Bücher