Das Kainsmal
Schrott fahren darf. In einer Hochzeitsnacht überreichte mir mein Schatz die Schlüssel für einen weißen Lincoln Continental mit allem Drum und Dran. Ein sehr solides Fahrzeug. Schnurrt wie ein Kätzchen, und die Stereoanlage ist so laut, dass einmal, als uns ein Jetta gerammt hat und mit seinem Kühler unter unserer hinteren Stoßstange hängen geblieben ist, dass wir das gar nicht mitbekommen haben. Die halbe Nacht haben wir diesen Kleinwagen hinter uns hergeschleppt, und die Leute waren stinkwütend.
Shot Dunyun: Voll bescheuert. Bei einer Mitleidstour, sobald man da seine Stoßstange unter so einem rostigen, eingebeulten, zerknautschten Heck hervorzieht, bereut man auch schon, dass man nicht einfach ohne einen Treffer nach Hause gefahren ist. Man fühlt sich so schmutzig, so traurig, dass man nicht mal aussteigt und ein bisschen herumschreit. Das geht nur rein und raus. Rein und raus. Nach den Crash-Party-Regeln ist das ein Foul, aber du hast gute Chancen, dass dieser Schrotthaufen dir so dankbar ist, dass er deinen Verstoß nicht meldet.
Noch schlimmer ist die Vorstellung, dass man nach ein paar Jahren eines Tages selbst mit so einem zerdepperten Heck durch die Straßen kriecht und nur noch hoffen kann, irgendjemand ist so gelangweilt oder verzweifelt, dass er dir eine reinsemmelt. Rein und raus macht man, weil der Anblick eines Prügelautos ein Trauerspiel ist, vor allem aber, weil der Anblick des Fahrers einfach unerträglich ist. Meistens trägt er eine Halsmanschette und geht steifbeinig humpelnd am Stock. Und sehr wahrscheinlich siehst du selbst in ein paar Jahren so aus.
Echo Lawrence: Mal nachdenken. Rant hat mir einen Le-Sabre gekauft, den ich gar nicht schnell genug zu Schrott fahren konnte. Dann hat er mir einen Cavalier gekauft, mit dem ich das Heck eines Audi zertrümmert habe. Danach hat er mir einen Regal gekauft, den ich einem Taurus in die Seite gerammt habe. Nein, Moment, dazwischen kam noch ein Grand Am. Ein Grand Am und ein Cougar und ein Grand Marquis. Oh, und der LeBaron, den wir in Brand gesetzt haben, als wir während einer Party Fondue essen wollten. Aber der Wagen zählt wohl nicht.
Shot Dunyun: Wir halten gerade vor einer roten Ampel, als weit hinter uns stotternd und schlotternd ein Schrotthaufen auftaucht, der uns offenbar rammen will. Schon aus dieser großen Entfernung hört man die Nocken klappern und die Federung quietschen, und die Scheinwerfer flackern nur noch. Der Keilriemen kreischt, und auf dem Dach wackelt eine fleckige Matratze. Und dieses Monster schleicht sich von hinten an uns ran, aber wir kommen nicht weg, weil wir auf Grün warten müssen.
Und dann wird es endlich Grün, und das Monster kriecht immer noch auf uns zu. Echo will schon Gas geben, aber Rant sagt: »Warte.«
Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms: Der junge Rant tat etwas, das man nur als äußerst gutmütig und großzügig bezeichnen kann.
Shot Dunyun: Wir bleiben vor der grünen Ampel stehen, sie wird rot und dann wieder grün, und erst jetzt stupst diese stotternde, zitternde Rostlaube uns ganz leicht an und gibt den Geist auf. Totalschaden. Der Keilriemen jault noch ein bisschen und verstummt. Dampf quillt aus der Kühlerhaube, und der wacklige Blechhaufen hört auf zu klappern. Die Karre scheint bis zum Achsanschlag abzusacken, und der Fahrer steigt aus. Ein junger Bursche, vielleicht sechzehn Jahre alt. Ohne Scheiß. Er hieß Ned ... Neddy ... Nick ... ich hab's vergessen.
Unser Wagen war ein Caddy Seville. Wir hatten noch Platz, und Rant bietet dem Jungen den Maskottchensitz hinten in der Mitte an. Wir waren der erste Treffer, den der Junge jemals gelandet hatte. Ich sehe noch vor mir, wie er vor Freude gestrahlt hat.
Aus den Aufzeichnungen von Green Taylor Simms: Auch der »Topfschlagen«-Effekt bei den Crash-Partys ist nicht zu verachten, jener Moment, wenn man, gewissermaßen, die Augenbinde abnimmt und nachsieht, welche Überraschung sich unterm Topf befindet. Wir projizieren ja ständig unsere Vorurteile auf die anderen Verkehrsteilnehmer. Die Fahrer, die an uns vorbeirauschen, sind in unseren Augen arrogante Schweine. Die langsamen Fahrer, an denen wir nicht vorbeikommen, sind Spießer oder einfach Trottel.
Freude stellt sich jedoch ein, wenn nach einem Stupser oder Kratzer die Türen des feindlichen Fahrzeugs auffliegen und die Insassen zum Vorschein kommen: Briefmarkensammler, Footballfans, Mütter, Großväter, Kaminfeger, Restaurantköche,
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