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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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abgeschnitten.

    Langsam wich die Wärme, die sich zwischen den Achtstöckern
von Ra c a d a u staute. Der Julitag war heiß gewesen, an die vierzig
Grad. In den Blechwagen am Rand der Jepilor -Straße
müffelte der Müll. Den zwei Romafrauen, die wie Katharina die Container
abklapperten, schien der Gestank nichts auszumachen. Sie schoben die Deckel der
Behälter zurück und stocherten mit Stöcken im Abfall. Verwertbares stopften sie
in Plastiktüten. Eine war so voll, dass Katharina den Aufdruck entziffern
konnte: Aldi Süd. Wenn ihr Vater hier
wäre und die Abfall fleddernden Frauen gesehen hätte, müsste sie sich wieder
einen Sermon über den Rumänen als solchen anhören. Zum Glück war der Alte weit
weg und sprach ohnehin nicht mehr mit ihr, seit sie den Job in Brasov
angenommen hatte. »Nach Rumänien zurückgehen, wie kannst du uns das antun,
Treni!«, war sein letzter in den Hörer gebrüllter Satz gewesen. Seitdem hatten
sie nicht mehr miteinander gesprochen.

    Katharina Orend schaute auf die Uhr. Halb zehn. Sobald es
dunkelte, würden die Bären aus dem Wald auftauchen und die Roma vom Müll
vertreiben. Die ersten Kids lungerten schon auf dem Bürgersteig herum, Jungen
und Mädchen von zwölf, dreizehn Jahren, die den Tod des Jugendlichen vor zwei
Wochen entweder verdrängt hatten oder die Sache mit den Bären gerade deshalb
geil fanden. Ab und an überquerte einer der Jungen die Straße, rannte
vielleicht fünf Meter in den Wald und rülpste und rief: »Futu-te in cur, urs!«, oder: »Du-te
in pizda ma-tii!« Katharina wunderte es, wie schrecklich sich rumänische
Flüche auf Deutsch anhörten. »Fick dich in den Arsch, Bär!« oder gar: »Geh in
die Fotze deiner Mutter!« Dabei bedeuteten sie hier nicht viel mehr als »Leck
mich!« oder »Geh zum Teufel!«. Nur Jüngelchen wie die auf der Strada Jepilor kamen sich verwegen vor,
wenn sie so fluchten. Vor allem, weil die Girlies, die auf der sicheren Seite
der Straße zurückblieben, darüber kicherten.

    Um kurz vor zehn begannen die Straßenhunde von Ra c a d a u wie auf Kommando zu bellen. Immer giftiger kläfften die Köter, für Katharina
ein sicheres Zeichen, dass die Bären im Anmarsch waren. Sie brachte die Antenne
ins Auto, trank einen Schluck Mineralwasser und ging zu der Straßenecke bei der
Schule, wo sich immer mehr Leute zusammenrotteten. Manche ließen sich sogar aus
der Stadt mit dem Taxi hierher bringen, Touristen, die die Bären von Brasov
begaffen wollten.

    Demnächst hängen sie in den Hotels noch Schilder auf,
dachte Katharina. Jeden Sommerabend, 22
Uhr, Ra c a d a u , Fütterung
der Raubtiere.

    Dann war der erste Bär da. Wie aus dem Nichts sprang er
auf die Mauer, die die Müllcontainer umgab, und balancierte ein paar Meter die
Krone entlang. Es war das mittelalte Männchen, das Katharina, weil es immer als
Erstes auftauchte, Frühaufsteher nannte. Es war nicht besonders groß für sein
Alter und verkrümelte sich, sobald stärkere Bären am Müll erschienen. Das Fell
umschlabberte ihn, als ob er es zwei Nummern zu groß gekauft hätte. Es war von
einer stumpfen Schwärze, nicht einmal im Licht der Straßenlampen, die um Punkt
zehn stotternd ansprangen, glänzte es. Der Frühaufsteher war nicht gut in Form.

    Katharina blies eine blonde Strähne aus der Stirn und trug
den Vorfall in das Formblatt ein, das sie für die Bärenbeobachtung entwickelt
hatte. Ort, Zeit, Tier, Zustand, Besonderheiten. Sie hatte eine Weile
gebraucht, um die einzelnen Bären auseinanderhalten zu können. Zuerst war ihr
die unterschiedliche Farbe der Tiere aufgefallen. Die Viecher hießen zwar alle
Braunbär, aber ihre Felle changierten von Zimt bis Schwarz. Außerdem waren sie
nicht gleich groß. Es gab Bärenjunge aus diesem Winter und Jährlinge, die von
ihren Müttern geführt wurden. Davon tummelten sich etwa zwei Dutzend an der Jepilor -Straße. Und dann waren da noch
zehn bis zwölf erwachsene Bären, Weibchen zumeist, aber auch ein paar
Brummbären mit narbigen Schädeln. Den ältesten hatte sie Scarface genannt,
einen mittelalten Rabauken Ribéry. Katharina liebte Fußball, und der kleine
Dribbler mit den schrecklichen Narben hatte es ihr besonders angetan.

    Drei Dutzend Bären auf einen Kilometer Jepilor -Straße, dachte die Biologin. Was
musste eigentlich noch passieren, bis dieser Schwachsinn aufhörte?

    Ein zweiter Bär war aufgetaucht, größer als der Frühaufsteher.
Sein Fell war deutlich heller. Katharina glaubte nicht, dass sie das

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