Das Karpaten-Projekt
Männchen
schon kannte. Der Bär richtete sich auf, legte die Vordertatzen auf einen
Container und schob ihn, wie wenn er bei der Brasover Müllabfuhr arbeitete, auf
dem Bürgersteig vor sich her. Als der Wagen über die Bordsteinkante kippte,
ergoss sich der Inhalt auf die Fahrbahn. Alte Schuhe, zerlumpte T-Shirts, einen
kaputten Wäscheständer wischte der Bär mit den Tatzen beiseite, um an die
kleinen Leckerbissen zu kommen, die sich dazwischen verbargen. Schmatzend
schmauste er Kartoffelschalen, leckte Marmeladenreste aus zersplittertem Glas,
verschlang ein Stück verschimmelten Käse und einen Zipfel vergammelte Wurst.
Keine zehn Meter entfernt standen die Kids. Einer der
Jungen hatte ein Fotohandy und schoss Blitzlicht auf den Bären. Er ging bis zur
Mitte der Straße und knipste, was das Gerät hergab. Widerwillig brummend zog
sich der Bär ein Stück in den Wald zurück. Der Junge mit dem Handy kehrte zu
seiner Clique zurück. Die Mädchen bewunderten die Fotos auf dem Display.
Ein paar Autos waren inzwischen hinzugekommen. Sie
stoppten mit der Schnauze in Richtung der Müllcontainer. Die Fahrer ließen den
Motor laufen und blendeten das Fernlicht auf. Aus den Autoradios drang
Balkanpop. Eine Flasche t uic a kreiste. Im öden Ra c a d a u war der Bär los.
Eine silbern schimmernde Bärin mit ihren drei Jungen
tauchte unter den Buchen auf. Im Licht der Autoscheinwerfer glitzerte sie grau
wie ein Grizzly, und so hatte Katharina Orend sie auch genannt. Die Bärin
strebte zum Müll, doch ihre Jungen liefen auf das Flachdach der Garage, die
neben den Containern in den Hang gebaut war. Von der Dachkante betrachteten die
Bärchen das Spektakel zu ihren Füßen wie Neuankömmlinge ein Kinderspiel, bei
dem sie gern mitgemacht hätten, sich aber noch nicht trauten. Die drei waren
kaum größer als Schäferhunde, von der Straße aus wirkten sie noch kleiner.
Die Mädchen der Clique quietschten entzückt, als sie die
Kleinen auf dem Dach entdeckten. Eines von ihnen rannte über die Jepilor und stellte sich vor das
Garagentor. Die Bärchen flüchteten von der Dachkante, aber als das Girlie einen
Keks aus der Tasche zog und hochhielt, kamen sie vorsichtig tapsend zurück. Das
Mädchen war nicht groß, selbst auf Zehenspitzen und mit gerecktem Arm reichte
ihre Hand nicht an die Kante. Weil sie ein kurzes Top trug und eine Jeans, die
knapp über dem Schamhaar endete, sah man viel von ihrem nackten Leib, wenn sie
sich dem Bärchen auf der Garage entgegenstreckte. Die Jungen, die zuschauten,
pfiffen und johlten.
Am Anfang ihrer Arbeit war Katharina in solchen
Situationen eingeschritten. Nachdem sie öfter angeschrien und einmal ins
Gesicht geschlagen worden war, hatte sie es gelassen. Es war ein Job für Herrn
Sisyphos aus Griechenland. Kaum hatte sie an einer Ecke jemandem davon abgeraten,
sich vom Bären zerfleischen zu lassen, versuchte es hundert Meter die Straße
rauf ein anderer. Das Einzige, was hier helfen konnte, waren bärensichere
Müllcontainer und eine Polizeistreife. Darum kämpfte Katharina seit Monaten vergeblich.
Das vorwitzigste Mitglied des Bärentrios hatte sich
wieder zum Rand der Garage vorgewagt und schnupperte den Duft des
Leckerbissens, der zwanzig Zentimeter unter seiner Nase in der Luft hing. »Este foarte dra gu t«, riefen die anderen Mädchen, und Katharina musste ihnen bei aller Besorgnis
recht geben. Der kleine Bär war wirklich sehr putzig.
Leider war er auch sehr waghalsig. Immer weiter neigte er
sich über die Kante, bis sich nur noch sein pummeliger Bärenhintern auf dem
Dach befand. Katharina sah nach der Alten. Grizzly stand noch beim Müll, aber
sie fraß nicht mehr. Den breiten Kopf hatte sie Richtung Garage gedreht, ihre
Augen leuchteten in einem matten Orange. Langsam bewegten sich ihre
Wangenmuskeln unter dem silbernen Fell. Als ob sie auf etwas kauen würde,
mahlte ihr Unterkiefer. Die Ohren hatte die Bärin angelegt. Sie stand auf dem
Sprung.
»Ho! Atentie!«, rief
Katharina über die Straße. Das Mädchen an der Garage sah sich nach ihr um.
Dabei sank ihre Hand mit dem Keks ein wenig tiefer und der Kopf des kleinen
Bären machte die Bewegung mit. Er versuchte noch, sich mit den Vordertatzen am
Holz des Garagentores abzufangen, aber seine Krallen fanden keinen Halt.
Kopfüber fiel das Junge vom Dach, platschte wie ein Medizinball auf den Beton
vor der Garage und schrie wie am Spieß.
Danach ging alles sehr schnell. Grizzly brüllte auf. Ein
elektrisierendes
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