Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
Vom Netzwerk:
Ein
Trucker, der den Dacia im Nebel übersah, hätte gereicht, um das Taxi mit Inhalt
zu Klump zu fahren. Hannes suchte den Knopf für die Warnblinkanlage, während
der Fahrer sich nach der nächsten Pfütze umsah. Beide wurden nicht fündig.

    Schreiber war froh, als der Dacia hinter Fogarasch von
der Hauptstraße abbog, um sich über die Dörfer zum Ziel vorzukämpfen. Mit
Regenwasser gefüllte Schlaglöcher, deren Tiefe er nicht mal erahnen konnte,
umkurvte der Droschker durch abruptes Reißen am Lenkrad, Straßenhunde humpelten
davon, sobald sie das Scheinwerferlicht traf. Die Dörfer, die sie durchfuhren,
lagen im Koma. In einer Stadt namens Za rnesti bremste der Fahrer neben dem ersten Menschen, den sie sahen, und fragte nach
dem Weg. Der Mann am Straßenrand hielt eine längere Rede und bewegte dabei die
Arme wie ein italienischer Polizist auf einer Kreuzung ohne Ampel.

    »Nu problem.« Der Fahrer lächelte nervös. »Ma gura twänti minits.
Willitsch in mauntin.«

    Der Asphalt verlor sich auf dem Weg in die Berge, die
Schlaglöcher nicht. Rechts und links der Piste ließen sich Felswände im Nebel
erahnen, ein kleiner Bach kreuzte die Fahrbahn. Parcul National Piatra Craiului, verkündete ein Schild am
Straßenrand. Das war also der Nationalpark Königstein, über den Schreiber im
Internet gelesen hatte. Auf Serpentinen kletterte der Dacia bergan. Der Nebel
lichtete sich, und als das Taxi den Wald verließ, glaubte Hannes, er habe eine
Erscheinung. Vor ihm leuchtete eine Almlandschaft in der Morgensonne.

    Der Taxifahrer hielt an. »Ma gura«, sagte er und wies mit einer ausladenden
Armbewegung nach vorn, als gehörten die Bergweiden und alle darauf verstreuten
Häuser ihm. Dann knautschte er eine Schachtel Zigaretten aus seiner Kunstlederjacke
und hielt sie Schreiber hin. Sie rauchten schweigend. Schräg fiel das
Morgenlicht auf die bucklige Welt. Wo die Wiesen noch nicht gemäht waren,
breiteten sich Blütenteppiche aus. Fichten warfen lange Schatten. In den Senken
waberte der Dunst.

    Schreiber kurbelte die Fensterscheibe herunter und blies
den kratzigen Rauch der Filterlosen hinaus. Zur Rechten stiegen bewaldete
Vorberge an, überragt von den Kalkwänden des Königsteins. Der Berg strahlte
weiß gegen den wolkenlosen Karpatenhimmel. Kilometerlang zog sich sein Kamm,
wie ein Riegel, den das Bergdorf dem Rest der Welt vorgeschoben hatte.

    »Nicht schlecht«, sagte Hannes. Der Taxifahrer nickte
beifällig und sagte ein rumänisches Wort, das sich ein bisschen wie ›famos‹ anhörte.
Anstalten, die Villa Diana zu finden, machte er nicht. Versunken in den
Sommermorgen hockte der Stadtmensch aus Sibiu hinter dem Steuer und strahlte
von innen. Schreiber brachte es nicht übers Herz, ihn zu stören. Du kommst noch
früh genug zu spät, sagte er sich und bestaunte die Bergwelt, die den Nebel
überragte. In solchen Momenten fand der Reporter, es gebe keinen schöneren
Beruf als den seinen.

    Irgendwann knuffte ihn der Kraftfahrer in die Rippen. »Carte de visite«, verstand Hannes und reichte
ihm den kleinen Karton mit Diana Steinkamps rumänischer Adresse. Wenn sie Haus
Nummer 141 in dieser Streusiedlung finden wollten, brauchten sie Glück oder
einen Einheimischen, der sie hinführte.

    »Nu problem«, meinte der Taximann und warf den Dacia wieder
an. Er folgte der Schotterpiste, die sich durch das Dorf schlängelte, und hielt
nach ein paar Hundert Metern abrupt an. Von einem Reklameschild an der Hauswand
blickte ein goldener Bär majestätisch auf sie herab. Anscheinend warb er für
Bier. Der Fahrer stieg aus und verschwand hinter der Haustür. Ein paar Minuten
später kam er freudestrahlend zurück.»Nu
problem.«

    Sie kurvten noch eine Weile durch die Gegend, ehe der
Dacia vor einem Staketenzaun stoppte. Statt Ende
der Welt hatte jemand Villa Diana in den hölzernen Torbogen geschnitzt. Nach achtzehn Stunden Reise war Schreiber
am Ziel.

     

4

    Die Villa Diana klebte auf halbem Hang. Handtellergroße
Holzschindeln, vom Wetter geschwärzt, schuppten das Dach. Die Hauswände trugen
eine blecherne Haut, in die eine Art Wabenmuster gestanzt war. Es sollte wohl
dem Schindeldach ähneln. Gestrichen war das Metallkleid in einem stumpfen Grün.
Den Landsitz einer Unternehmerfamilie hatte Hannes sich anders vorgestellt.

    Er löhnte den Taxifahrer, bestand auf einer Quittung, hängte
seinen Rucksack um, suchte den Eingang des Etablissements und fand ihn an der
Seitenfront. Es gab keine Klingel und auf

Weitere Kostenlose Bücher