Das Karpaten-Projekt
eingerichtet war, wirkte
Hannes’ Klause wie extra aufgeräumt. Der Schreibtisch blank, ein paar
Unterlagen in Klarsichtmappen gestapelt, Bücher in Reih und Glied in den
Regalen. Der Reporter war als junger Mann Beamter gewesen, dies waren die Spätfolgen.
Die Steinkamp stand mitten im Raum und betrachtete die
Souvenirs an der Wand. »Sie sind ja ganz schön rumgekommen«, sagte sie.
»Das schon.« Schreiber verschwieg, dass die Erinnerungsstücke
von Storys stammten, die beim Magazin durch den Rost gefallen waren. Es war seine berufliche Klagemauer, die Galerie
der gescheiterten Geschichten. Eine Szene mit Bartelmus fiel ihm ein, während
Diana Steinkamp die Wand abschritt, aus den Zeiten, als Stefan sein
Ressortleiter gewesen war. Sie hatten eine von Schreibers besseren Reportagen
gemeinsam druckfertig gemacht, als der Anruf aus der Chefredaktion einlief.
Bartelmus hatte zugehört und dann den Hörer kommentarlos auf die Gabel
geworfen.
»Wieder mal umsonst gearbeitet?« Hannes’ Frage sollte
sich tough anhören, tat es aber nicht. Der Reporter hatte sich auch nach
fünfzehn Jahren Magazin nicht damit abgefunden,
für den Papierkorb zu arbeiten.
»Nicht umsonst, Hannes«, sagte Bartelmus und griff zur Nivea -Dose, »nur vergebens.«
»In Barcelona war ich dabei.« Steinkamps Satz riss
Schreiber aus seinen Erinnerungen. Sie hatte sich seine Olympiakappe aufs linke
Ohr gezogen. Ihre Augen blitzten wie Romy Schneiders auf Bob Lebecks Foto.
Schade, dass kein Fotograf hier ist, dachte Hannes.
»Eigentlich hätte ich schon vier Jahre vorher in Seoul
starten sollen, aber da hat man einen älteren Herrn vorgezogen.« Diana
Steinkamp nahm die Kappe ab und hängte sie an die Wand zurück. »Olympia ruft
die Jugend der Welt«, tönte sie, »und wer kommt? Dr. Reiner Klimke auf Ahlerich.«
Schreiber lachte. »Wir wollten über Bären reden.«
»Genau.« Die Steinkamp ließ sich in einen Besuchersessel
plumpsen und schlug die bejeansten Beine übereinander. »Die Bären.« Sie strich
sich in der Art, die ihm bei jüngeren Frauen in den letzten Jahren öfter
aufgefallen war, das Haar aus der Stirn: Gespreizte Finger fuhren durch die aschblonde,
schulterlange Mähne. »Ich trag mein Haar heut’ offen«, hatte Heinz Erhardt
geulkt, wenn er mit derselben Bewegung die Strähnen auf der Halbglatze
richtete.
»Wir lassen einen Großteil unserer Schuhe in Rumänien
produzieren«, begann die Steinkamp. »Mein Vater ist in den Siebzigern
hingegangen, um Kosten zu sparen. Es muss abenteuerlich gewesen sein am Anfang,
aber der Senior hat den Laden zum Laufen gebracht. Irgendwie kann der es mit
den Rumänen. Fragen Sie mich nicht, warum.«
»Tu ich aber.«
Ein Lächeln, das Zähne zeigte. »Ich dachte, ich sollte
über Bären reden.«
»Nur zu!«
»Mein Vater hat mich von klein auf mit auf die Jagd genommen.
Wir haben zusammen auf dem Hochsitz gehockt und Hirsche geguckt. Als Mädchen
fand ich das toll. Nur die Brunft irritierte mich. Platzhirsche fand ich schon
mit zwölf daneben.«
Hannes hatte die Hirschbrunft in Schottland erlebt und
wusste, wovon die Steinkamp redete. Diese gehörnten Burschen gaben alles, um
ihre Gene an die nächste Generation weiterzugeben. Zwei Wochen röhren, rudeln,
rammeln, danach lagen die Herren Hirsche abgekämpft in der Botanik.
»In Rumänien hat es mein Vater natürlich auch mit der
Jagd versucht. Das war nicht einfach, weil unter Diktator Ceausescu die Jagd
für Ausländer gesperrt war. Der Senior wollte aber unbedingt einen
Karpatenhirsch schießen. Er hatte ein paar Bücher darüber gelesen. Das muss vor
dem Krieg so angesagt gewesen sein wie eine Großwildsafari. Dad hat jedenfalls
nicht lockergelassen. Er hat diesem und jenem unter die Arme gegriffen und am
Ende seinen Hirsch gekriegt. Einen Bären hätte er auch gern geschossen, aber
daran war damals noch nicht zu denken. Bären durfte nur Ceausescu schießen.«
»Alle Bären?«
»In ganz Rumänien. Der Mensch hat manchmal zwanzig am Tag
abgeknallt. Sie wurden ihm zugetrieben. Ein paar von seinen Höflingen waren
wohl dabei, aber die trauten sich kaum zu schießen. Höchstens dass einer mal
einen kleinen Bären gekillt hat. Die andern waren für den größten Weidmann der
Karpaten reserviert.«
Schreiber hätte sich gern eine Zigarette angesteckt, ließ
es aber bleiben, um die Steinkamp nicht zu stören. 1989 hatten die wendigsten
unter seinen Paladinen Ceausescu erschießen lassen, dachte er. So glich
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