Das Kind der Rache
würden
sie aus ihrer alten Wohnung an der Santa Clara Avenue
ausziehen, um sich in einer weiträumigen, alten Villa am
Hacienda Drive zu etablieren. Es handelte sich um ein
renoviertes Haus, dessen Besitzer, ein Ehepaar, in Scheidung
lebten.
Ellen mutmaßte, daß ihr eigener Wunsch, eine größere
Wohnung zu beziehen, eigentlich nur ein Ablenkungsmanöver
war, das sie für sich selbst veranstaltete. Zwar hatte sie ihrem
Mann einen Sohn geschenkt, den sie von Herzen liebte. Alex.
Aber die Ehe kriselte, wie so viele Ehen in La Paloma, und
Ellen wußte es. Während sie nach einer Parklücke suchte,
dachte sie über ihre Freunde und Bekannten nach, über die
Paare, deren Verbindung nach kurzer Blüte
auseinandergebrochen war.
Da war zum Beispiel Valerie Benson, die ihren Mann eines
Tages ganz einfach aus der Wohnung geworfen hatte. Ihren
Freunden hatte Valerie gesagt, daß sie die schlechten Manieren
ihres Ehemannes George nun endgültig leid sei. Sie hatte
allerdings nie gesagt, worin die schlechten Manieren denn
bestanden. Jetzt wohnte sie allein in dem Haus, das mit
Georges Hilfe restauriert worden war.
Da war Martha Lewis, die noch mit ihrem Mann zusammen
lebte, obwohl die Ehe seit Jahren nur noch auf dem Papier
bestand. Marthas Mann, der einen beruflichen Höhenflug als
Verkaufsmanager einer Computerfirma hinter sich hatte, hatte
sich inzwischen dem Alkohol ergeben. Für die Frau war das
Leben jetzt ein ständiger Kampf, um die monatlichen Raten für
ein Haus aufzubringen, das sich die beiden eigentlich nicht
mehr leisten konnten.
Da war Cynthia Evans, deren Mann, wie viele andere in
Silicon Valley, einen Achtzehn-Stunden-Tag praktizierte. Für
die Ehe blieb da keine Zeit mehr übrig. Cynthia tröstete sich,
indem sie das Geld, das ihr Mann verdiente, mit vollen Händen
ausgab. Unter anderem hatte sie ihn überredet, ein
abbruchreifes Haus am oberen Ende des Hacienda Drive zu
kaufen. Sie selbst leitete die Restaurierungsarbeiten.
Auch das Haus, in das Ellen mit ihrem Mann einziehen
würde, war renovierungsbedürftig. In den zwei Wochen, die
bis zum Einzug verblieben, mußten die Fußböden erneuert
werden, ebenso die sanitären Anlagen und die elektrischen
Leitungen. Ellen hoffte, daß sie bei der Überwachung der
Arbeiten die traurigen Gedanken an ihre gefährdete Ehe
verdrängen konnte. Außerdem gab es eine winzige Chance, daß
der Wohnungswechsel ihr und ihrem Ehemann helfen würde,
zueinander zurückzufinden.
Sie parkte ihren Volvo zwischen einem Mercedes und einem
BMW und begab sich in die Eingangshalle der Klinik. Bald
würde sie ihren Mann sehen. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
Es war jetzt wichtig, daß sie jeden Streit vermied.
Zu oft war sie mit Marsh in den letzten Monaten aneinandergeraten. Nicht nur Ellen, auch Marsh und Alex, der Sohn,
waren mit seelischen Verletzungen aus dem ewigen Hickhack
hervorgegangen. Alex war jetzt sechzehn, ein sensibler Junge.
Er spürte es, wenn seine Eltern gestritten hatten, auch wenn die
Auseinandersetzungen nicht immer in seiner Gegenwart
geführt wurden.
In der Eingangshalle wurde Ellen von Barbara Fannon
begrüßt, die seit zwanzig Jahren als Krankenschwester und als
Sekretärin für Marsh arbeitete. Sie begrüßte die Frau ihres
Chefs mit einem Lächeln. »Er ist gerade aus der Konferenz
gekommen und in sein Büro gegangen. Soll ich ihm sagen, daß
Sie da sind?«
»Nicht nötig. Ich möchte ihn gern überraschen.«
Barbaras Lächeln verschwand. »Er mag keine Überraschungen.«
»Es tut ihm sicher ganz gut, wenn die Dinge einmal anders
laufen, als er's gewohnt ist«, gab Ellen zurück. Sie versuchte
das unangenehme Gefühl zu verdrängen, daß Barbara ihren
Mann besser kannte, als sie selbst. »Sonst kommt sich der Herr
Doktor am Ende viel zu wichtig vor.«
Sie durchquerte die Halle, wenig später betrat sie das Büro
ihres Mannes.
Er saß am Schreibtisch und sah auf, als er die Tür hörte. Sie
vermeinte den Anflug von Ärger in seinen Augen zu erkennen.
»Was führt dich zu mir? Ich dachte, du sitzt den Handwerkern im Nacken und sorgst dafür, daß kein einziger Dollar
von unserem Geld übrigbleibt.« Er sagte es mit einem
freundlichen Lächeln, aber der ironische Unterton war kaum zu
überhören.
»Ich bin auf dem Weg zu Cynthia Evans«, sagte sie. »Wir
wollen einkaufen.« Kaum waren die Worte heraus, da
bedauerte sie, daß sie den Namen erwähnt hatte. In den Augen
ihres Mannes standen Cynthia und
Weitere Kostenlose Bücher