Das Kind der Rache
zu tun
haben.«
Maria Torres folgte ihr in den ersten Stock. Gringas waren
merkwürdige Wesen. Sie schienen zu glauben, daß eine Frau
wie Maria keine Ahnung von den Aufgaben hatte, die in einem
großen Haushalt anfielen. Wahrscheinlich nahmen die
Americanos an, daß sie ihr eigenes Haus nie saubermachte.
Oder aber sie glaubten, daß alle Menschen, die nicht mit
blondem Haar und blauen Augen auf die Welt kamen, mit
unheilbarer Dummheit geschlagen waren.
Die Zimmer waren so, wie Maria sie von ihrem letzten
Besuch in diesem Haus in Erinnerung hatte. Senora Ruiz trug
Maria die gleichen Arbeiten auf, die Senora Lonsdale verlangt
hatte.
Die Putzmittel befanden sich an der gewohnten Stelle,
ebenfalls der Staubsauger, die Staubtücher, die Mops und die
Besen.
Trotzdem mußte Maria die Erklärungen über sich ergehen
lassen, die sich die Gringa ausgedacht hatte. Als ob sie nicht in
Häusern saubergemacht hätte, lange bevor Frauen wie Donna
Ruiz überhaupt das Licht der Welt erblickt hatten.
Sie durchschritten die Zimmer, die Maria Torres nur allzugut
kannte. Schließlich kamen sie vor den Raum, der einst
Alejandro gehört hatte. Donna Ruiz, die vorangegangen war,
blieb stehen und klopfte an.
»Herein«, sagte eine Jungenstimme. Donna Ruiz drehte den
Türknopf und stieß die Tür auf. Maria ließ ihren Blick durch
das Zimmer schweifen. Der Raum war so, wie er gewesen war,
als das Haus noch der Familie Lonsdale gehörte. Die gleichen
Möbel. Tisch, Bett, Bücherregal - alles war so, wie es gewesen
war, als Alejandro hier wohnte.
Mit einem Unterschied: An dem Tisch, wo Alejandro einst
seine Schularbeiten gemacht hatte, saß ein Junge, den Maria
auf dreizehn Jahre schätzte. Er hatte ein Modellflugzeug vor
sich. Als er sah, daß seine Mutter von einer fremden Frau
begleitet wurde, stand er auf. »Sind Sie die Reinemachefrau?«
fragte er.
Maria nickte. Sie musterte ihn aus ihren alten Augen. Der
Junge hatte dunkles, fast schwarzes Haar und schwarze Augen. »Como se llama?« fragte sie.
»Roberto«, antwortete der Junge. »Ich heiße Roberto, aber
alle nennen mich Bobby.«
Marias Herz schlug schneller. »Roberto«, sagte sie. »Ein
schöner Name.«
»Mein Sohn interessiert sich sehr für die Geschichte von La
Paloma«, sagte Donna Ruiz. Sie wandte sich zu ihrem Sohn.
»Maria weiß bestens über das Haus und über die Geschichte
von La Paloma Bescheid. Sie kann dir alles erzählen, was du
wissen willst.«
Bobby Ruiz' Blick heftete sich auf Maria Torres. »Würden
Sie das wirklich tun?« fragte er. »Könnten Sie mir wirklich
sagen, wie es vor hundert Jahren in La Paloma zugegangen
ist?«
Maria zögerte, bevor sie seine Frage beantwortete. »Si«, sagte sie schließlich. »Ich kenne alle alten Legenden, die es
über La Paloma gibt. Wenn du willst, werde ich sie dir
erzählen.« Sie bedachte ihn mit einem zutraulichen Lächeln.
»Ich bin sicher, das wird dich sehr interessieren. Und eines
Tages wirst du von der Hazienda am Fuße des Gebirges Besitz
nehmen. Würde dir das gefallen?«
Begeisterung spiegelte sich in den Augen des Jungen. »Ja«,
sagte er. »Das würde mir unheimlich Spaß machen.«
»Dann werde ich dir die Hazienda zeigen, und zwar sobald
wie möglich«, sagte Maria. »Ich werde dir alles erklären, was
es dort zu sehen gibt, und eines Tages wird das ganze Anwesen
dir gehören.«
Und dann waren Donna Ruiz und Maria aus dem Zimmer
gegangen. Bobby Ruiz blieb allein zurück. Er ging zu seinem
Bett, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Er
lauschte den Stimmen, die ihn empfangen hatten, als er das
Zimmer bezog. Stimmen, die spanisch sprachen. Und jetzt, seit
Maria Torres mit ihm gesprochen hatte, war ihm der Sinn klar.
Roberto hatte begriffen, daß das Morden weitergehen mußte.
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