Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken
Chicorée. Das meinen jedenfalls Babys und kleine Kinder. Sie entscheiden sich lieber für den süß schmeckenden Karottenbrei und sind oft nur schwer davon zu überzeugen, mal etwas anderes zu probieren.
»Aber muss es denn gleich so viel Süßes sein?«, stöhnt da mancher Erziehungsberechtigte und zweifelt schon an der eigenen Kompetenz. Kinderschokolade, Fruchtzwerge und obendrein noch ein Berg Smarties? Doch Kindern kann es nie süß genug sein, weil sie den Süßgeschmack erst in sehr viel höheren Konzentrationen wahrnehmen als Erwachsene. Und damit wir den Kindern das Naschen guten Gewissens durchgehen lassen, füttert uns die Lebensmittelindustrie mit süßen Werbelügen. »Schmeckt leicht. Belastet nicht. Ideal für zwischendurch«, lautet der Werbespruch für Milch-Schnitte. Das sei die dreistete Werbelüge des Jahres, fanden die Verbraucher in einer Umfrage von Foodwatch, weil über den Fett- und Zuckergehalt von sechzig Prozent hinweggetäuscht würde. Sie verpassten dem Hersteller Ferrero den Goldenen Windbeutel des Jahres 2011.
Denn eines beunruhigt Eltern und kritische Kunden zu Recht: Zucker macht süchtig. Das erleben viele Verbraucher an sich und ihren Kindern. Wissenschaftliche Experimente mit Ratten haben gezeigt, dass die Tiere schwere Entzugserscheinungen wie Zähneklappern und Zittern bekommen, wenn ihnen die tägliche Zuckerdosis gestrichen wird. Mediziner schätzen, dass inzwischen rund 40 Prozent der Menschen unter Süßhunger leiden. Die meisten wissen nichts davon, weil sie täglich mit großen Zuckermengen versorgt werden. In Deutschland werden nur 17 Prozent des produzierten Zuckers als Haushaltszucker verbraucht. Mehr als 80 Prozent stecken in Nahrungsmitteln wie Ketchup, Fertigmüslis oder Fruchtjoghurts – allesamt beliebt bei Kindern. Dass einige von ihnen so angepriesen werden, als seien sie gesund, macht das Zuckerversteckspiel noch interessanter. Weniger für den Verbraucher als für den Hersteller von Fertigprodukten. Tatsächlich ist Zucker in vielerlei Hinsicht ungesund. Er lässt uns sogar schneller altern, denn er schädigt die Kollagenfasern in der Haut. Deshalb empfehlen Dermatologen: »Vergessen Sie Anti-Falten-Cremes – reduzieren Sie einfach den Zucker.«
Je älter Kinder werden, desto weniger konzentriert muss die Süße sein. Das haben Forscher mit Testessern verschiedenen Alters untersucht. Ein achtjähriges Kind braucht im Vergleich zu einem dreijährigen Kind nur noch die Hälfte an Zucker, um »süß« wahrzunehmen. Trotzdem sollte man nicht verzweifeln, wenn zur neunten Geburtstagsfeier immer noch Kalter Hund gewünscht wird, jene unsägliche Mischung aus Butterkeksen und kaltem Schokofett, die wie ein Stein im Magen liegt. Kinder mögen das, und wenn man Ernährungswissenschaftlern glaubt, folgen sie damit ihrer Körperintelligenz. Verbote und Restriktionen führen eher dazu, dass Schokolade und andere Süßigkeiten noch interessanter werden. Wichtiger für Kinder ist es, ein Bauchgefühl zu entwickeln, das ihnen sagt, was und wie viel sie essen sollen. Nur wer in der Kindheit lernt, wie sich Hunger anfühlt, kann sich später davor retten, aus Routine, Langeweile, Stress oder Kummer zu essen. Insofern erfüllt der Kalte Hund eine großartige Aufgabe: Er lehrt Kinder und Erwachsene, die es noch nicht wissen, dass manchmal auch ein halbes Stück schon zu viel sein kann.
Ein Lolli versüßt den Schmerz
Früher, als Schokolade und Lollis noch Spaß machten und nicht nur am Karies-Faktor gemessen wurden, bekamen Kinder nach dem Arztbesuch etwas Süßes für ihre Tapferkeit. Das trocknete so manche Träne, die, wie wir heute wissen, ganz umsonst geflossen ist: Mama hätte nur die Belohnung vorziehen müssen, dann hätten weder das Bohren beim Zahnarzt noch der Piks beim Impfen so wehgetan.
In einer großen Studie mit über tausend Kindern zeigte eine kanadische Forschergruppe, dass Kleinkinder tatsächlich seltener und viel kürzer weinten, wenn sie vor Impfungen ein süßes Trostpflaster bekamen. Da reichte schon ein Löffel mit stark zuckerhaltiger Wasserlösung. Je jünger die Kinder waren, desto stärker war der Effekt. Eine dreißigprozentige Zuckerlösung reduzierte das Weinen bereits um die Hälfte. Ähnliches gilt für Erwachsene, wenn auch nicht so ausgeprägt. Bei ihnen hatten Wissenschaftler Schmerzen durch eiskaltes Wasser hervorgerufen: Die Probanden sollten ihre Hand so lange wie möglich ins Wasser halten. Hatten sie vorher eine Zuckerlösung
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