S3, Spuk in der Bibliothek: Eine Annäherung an das Unheimliche (German Edition)
1. Ein Gesprächsfetzen
Montag, 11 Februar 2008: Daniel und ich, wir haben uns die falsche Schlange ausgesucht. Während vor uns jemand seine Cent-Stücke los wird, wird uns das Essen kalt. Jessica und Laura sitzen schon an einem Vierertisch. Zumindest unsere Plätze sind uns also sicher.
Nachdem wir an der Kasse bezahlt haben, balancieren wir unsere Tabletts (48 x35 cm beigegraues Plastik) hinunter zu den Mädels. Der freie Tisch, den sie gefunden haben, liegt eine Ebene tiefer, ist aber von der Kasse aus zu sehen. Wir müssen nicht suchen. Die beiden unterhalten sich, wir stellen unsere Tabletts ab und setzen uns zu ihnen. Trotz des Lärms, der uns umgibt, schnappe ich einen Fetzen des gerade endenden Gesprächs auf. Jessica sagt zu Laura: „...und ich geh da unten nicht mehr gerne hin, ist mir einfach unheimlich.“
Nach dem Essen ist noch genug Zeit für einen Kaffee, unten in der Aula. Hier schmeckt er besser. Mit den Tassen in der Hand suchen wir eine Sitzgelegenheit, groß genug für vier. Während wir auf eine freie Bank im Eingangsbereich der Universität zusteuern, frage ich Jessica, wo es denn so unheimlich sei, dass sie da nicht mehr gerne hingehe. Sie antwortet nicht, vielleicht hat sie mich in all dem Trubel – der Eingangsbereich ist gut gefüllt, gerade ist ein Bus angekommen – nicht gehört. Vielleicht ignoriert sie meine Frage.
Wir setzen uns und ich frage noch einmal. Nun bekomme ich eine Antwort, allerdings eine knappe. Ihr sei vor einigen Wochen etwas Komisches passiert, unten in der Bibliothek. Und seitdem gehe sie da nicht mehr gerne hin.
Jessica nimmt vorsichtig einen Schluck Kaffee und Laura springt ein. Besonders erstaunt sei sie ja nicht gewesen, als Jessica ihr vorhin von ihrem Erlebnis erzählte. Schon mehrmals habe sie gehört, dass in der Bibliothek seltsame Dinge passieren.
Ich weiß immer noch nicht, was Jessica „da unten“ zugestoßen ist. Und Jessica scheint keine große Lust zu haben, mehr zu erzählen. Aber ich bleibe hartnäckig, frage weiter. Etwas widerwillig erzählt mir Jessica von ihrem Erlebnis.
Ich habe vor ein paar Jahren schon einmal gehört, dass in der Bibliothek, genauer: Im Untergeschoss, im Buchbereich S3, merkwürdige Dinge passieren. Zufällig bekam ich ein Gespräch zweier Studenten mit. Sie saßen in irgendeinem Seminarraum hinter mir, der Dozent ließ auf sich warten und die beiden unterhielten sich über verschiedene Bereiche in der Bibliothek: Wo man ungestört sei, wo man gut lernen könne, wo man die hübschesten Mädels finde...
Einer der beiden erwähnte S3 und meinte, dass es dort viele Sitzplätze gebe, dass man dort seine Ruhe habe und nicht bei den Kopierern anstehen müsse.
„Dafür solls da ja spuken“ meinte der andere mit ironischem Unterton. Ein Bekannter habe ihm von seltsamen Geräuschen erzählt. Es sei aber niemand in der Nähe gewesen.
Auch Jessicas Erlebnis – in wenigen Worten hat sie es erzählt – könnte man in die Kategorie „Spuk“ einordnen. Ich gestehe, dass ich solche Geschichten spannend finde. Schon als Kind mochte ich Geistergeschichten, meine liebste war Hauffs „Gespensterschiff“. Wir hatten sie auf Schallplatte, ich fand sie furchtbar unheimlich, konnte nachts nicht schlafen, wollte sie aber immer wieder hören. Wenn die Stelle mit dem Mann kam, der einen langen Nagel im Kopf hat, dann hielt ich mir die Ohren zu.
Spontan bitte ich Jessica, mir ihr Erlebnis ausführlicher zu erzählen. Ich frage sie auch, ob ich die Geschichte auf Band aufnehmen kann. Tonbandgerät und Transkribiergerät – damit lassen sich die Aufnahmen leichter abtippen – habe ich sowieso gerade zuhause. Ich brauche beides für meine Doktorarbeit, an der ich seit etwas über einem Jahr sitze. Jessica zögert, scheint wenig begeistert von meiner Idee. Sie müsse sich das erst überlegen. Aber ich könne sie ja die nächsten Tage mal anrufen.
Der Kaffee ist getrunken, wir bringen die Tassen zurück. Daniel und ich gehen in die Bibliothek. Laura und Jessica haben Seminar. Mir fällt ein, dass ich Jessicas Nummer gar nicht habe. Vielleicht will sie wirklich nicht über das sprechen, was ihr passiert ist. Vielleicht hofft sie, dass ich die Sache vergesse.
2. Jessica macht mit
Dienstag, 12 Februar 2008: Daniel hat mir Jessicas Telefonnummer gegeben. Er denkt, ich wolle bei ihr irgendwelche Annäherungsversuche starten. Aber das ist nicht meine Absicht. Mich interessiert wirklich, was Jessica unten in der
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