Das Kommando
konnte der darin liegenden Ironie keine humoristische Seite abgewinnen. Manche hatten sogar angeregt, ihr einfach den Stuhl vor die Tür zu setzen, etwa so wie man einen alten Ackergaul, der ein Leben lang seine Arbeit zufrieden stellend getan hat, zum Abdecker bringt, sobald er nicht mehr dazu imstande ist.
Jetzt war der Sturm losgebrochen, den sie vorhergesagt hatte, doch die Berufspolitiker, die nicht auf ihre mahnenden Hinweise gehört und ihre Arbeit bei jeder Gelegenheit behindert hatten, dachten nicht im Traum daran, die Schuld dafür auch nur ansatzweise bei sich selbst zu suchen. Dieser einzigartige Menschenschlag war ganz und gar unfähig, die Verantwortung für frühere Fehler zu übernehmen, es sei denn, es gelang ihnen, daraus einen genau kalkulierten und sorgfältig inszenierten Akt der Reue zu machen, der ihnen das Mitgefühl der Öffentlichkeit eintrug.
Zum Glück für die Direktorin der CIA besaßen einige Senatoren und Kongressabgeordnete genug Ehrgefühl, um sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Diese Männer und Frauen hatten sie auf jedem Schritt ihres Weges begleitet. Immer wieder hatte sie darauf hingearbeitet, dass politische Verfahren eingeleitet wurden, die es gestatteten, der bevorstehenden Bedrohung entgegenzutreten. Diese Leute und der Präsident waren ihr zu Hilfe gekommen und hatten das Vorhaben der anderen vereitelt, ihr die Leitung der Behörde aus der Hand zu nehmen.
Jetzt war es an der Zeit, die Dinge aufzuarbeiten. Im Schein der Tischlampe sah Irene Kennedy angestrengt auf die Mitschriften, die vor ihr lagen. Was sie las, widerte sie an. Empörung war ihr wesensfremd; schon lange hatte sie gelernt, Empfindungen und Gedanken voneinander zu trennen, aber was sie da las, ging ihr unter die Haut. Männer waren ums Leben gekommen. Gute Männer mit Frauen und Kindern, mit Müttern und Vätern, und sie waren umgekommen, weil Menschen, die es hätten besser wissen müssen, nicht einsehen wollten, wie wichtig Fragen der Sicherheit waren. Schlimmer noch, sie waren nicht einmal imstande, auch nur vierundzwanzig Stunden lang ein einfaches Geheimnis für sich zu behalten.
Selbst nach dem Schauder, der das Land nach dem 11. September erfasst hatte, hatten sie nicht begriffen, dass es ihre Pflicht war, ihr Land zu schützen. Sie erkannten einfach nicht, wie ernsthaft die Herausforderung war, der sich die Vereinigten Staaten gegenübersahen. Weil Menschen, die man eigentlich für intelligent und gebildet halten musste, die politischen Winkelzüge ihrer jeweiligen Behörde höher stellten als die Sicherheit militärischer Unternehmungen, stand sie jetzt vor einem Scherbenhaufen – zwei Männer waren tot, man hatte eine Operation abblasen müssen, an der Hunderte von Angehörigen mehrerer Truppengattungen beteiligt gewesen waren, und eine unschuldige amerikanische Familie saß nach wie vor in einer Hölle gefangen, deren Grauen man keinem Erwachsenen zumuten durfte, geschweige denn einem Kind.
Hier lag ein gewaltiges Versagen der für die Sicherheit Zuständigen vor, und Kennedy war zu dem Ergebnis gekommen, dass damit jetzt Schluss sein musste. Allerdings würde sie nicht die Beherrschung verlieren und lauthals verlangen, dass Köpfe zu rollen hatten. Das war weder ihr Stil, noch entsprach es dem, was ihr Thomas Stansfield, der inzwischen verstorbene Leiter der CIA und ihr Mentor, beigebracht hatte. Er war einer der Besten seines Faches gewesen und hatte stets gesagt, ein Meisterspion müsse wie ein geschlossenes Buch sein, solange er nicht selbst wolle, dass man es öffnete. Kein Tag verging, ohne dass sie seine Ratschläge befolgte.
Vor ihr lagen zwei rote Mappen. Die linke enthielt abgefangene E-Mails, die zwischen einem hochrangigen Beamten im Außenministerium und einem Botschafter in Übersee gewechselt worden waren, sowie einige Mitschnitte von Telefongesprächen und andere geheimdienstliche Angaben. Die Mappe auf der rechten Seite war sehr viel dicker. In ihr befanden sich Bankauszüge der letzten Jahre von einer Vielzahl Konten rund um den Pazifik, die detaillierte Lebensgeschichte der betreffenden Person sowie Satellitenaufnahmen und abgefangene Botschaften. Kurz gesagt, enthielten beide Mappen unwiderlegliche Hinweise darauf, dass bestimmte Menschen im eigenen Land wie im Ausland die Rettung der Geiseln auf den Philippinen sabotiert hatten.
In früheren Jahren hätte die CIA diese Art von Informationen stillschweigend an ausgewählte Einzelpersonen in Washington weitergegeben,
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