Das Kommando
Wolken verdunkelten Mond und Sterne. Ohne die Nachtsichtbrille, deren einzelnes Objektiv gleich einem Zyklopenauge von der Stirn ragte, hätte niemand das Geringste sehen können. Auf Devolis’ Signal hin setzte sich das Boot in Bewegung; der eigens für solche Einsätze hergerichtete Mercury-Außenborder gab nur ein Summen von sich.
Endlich hatten die Verantwortlichen in Washington zu handeln beschlossen, volle fünf Monate nachdem eine Gruppe radikaler Muslims namens Abu Sayyaf, die auf den Philippinen ihr Unwesen trieb, eine amerikanische Familie aus Portland in Oregon aus ihrem Feriendomizil an der Küste der Insel Samar entführt hatte. Seither befanden sich Mike und Judy Anderson mit ihren drei Kindern – der neunjährigen Ava, dem siebenjährigen Charlie und der sechsjährigen Lola – in Geiselhaft.
Mit großer Aufmerksamkeit hatten Devolis und seine Männer die Berichterstattung über den Fall verfolgt, denn ihnen war klar, dass man aller Wahrscheinlichkeit nach sie damit beauftragen würde, diese Menschen zu retten, wenn sich die Politiker erst einmal entschlossen hatten, ihren Hintern aus dem Sessel zu heben. Devolis hatte in vielen Nächten an die Andersons gedacht, vor allem an die Kinder. Ihre Rettung lag ihm mehr am Herzen als alles, was er sich in seinen sechs Jahren als Angehöriger der SEALs gewünscht hatte. Er hatte sich so oft ihre Fotos angesehen, dass deren Ränder fleckig und zerfranst waren, und immer wieder die Angaben in den Akten gelesen, bis ihn die unschuldigen kleinen Gesichter schließlich im Schlaf verfolgten. Ob er wollte oder nicht, der Auftrag war zu einer persönlichen Angelegenheit geworden. Er wollte diese Menschen retten, aber nicht aus Draufgängertum, sondern weil er fest davon überzeugt war, dass man den Fanatikern zeigen musste, was sie zu erwarten hatten, wenn sie die Vereinigten Staaten von Amerika herausforderten.
Obwohl er in keiner Weise zum Sadismus neigte, empfand er einen unbändigen Hass auf die Männer, die diese Familie in ihre Gewalt gebracht hatten. Er hatte nicht das geringste Verständnis dafür, wie jemand unschuldige Kinder entführen konnte. Ganz gleich, was für Menschen diese Terroristen sein mochten, er war sicher, dass es ihm keine schlaflosen Nächte bereiten würde, sie alle miteinander zu töten. Heute Nacht würden die Abu Sayyaf die geballte Macht der US-Marine zu spüren bekommen, und zwar so gründlich, dass sie wünschen würden, sich nie mit der größten Supermacht der Welt angelegt zu haben.
Fünfzehn Seemeilen vor der Küste der Insel Dinagat lag der Flugzeugträger Belleau Wood bereit, ein Kriegsschiff der Tarawa-Klasse, das über eine enorme Feuerkraft verfügte. Die US-Marine besaß fünf dieser Schiffe, die sich gleichermaßen zur Erfüllung von Aufgaben des Heeres, der Luftwaffe und der Marine eigneten, da sie nicht nur für amphibische Operationen konzipiert waren, sondern auch ein zweihundertfünfzig Meter langes Flugdeck besaßen. Auf der Belleau Wood standen außer sechs AV-8B-Harrier-Kampfflugzeugen die verschiedensten Hubschrauber zum Einsatz bereit: zwölf CH-46 Sea Knight, neun CH-53 Sea Stallion sowie vier AH-1 W-Super-Cobra-Kampfhubschrauber, die zugleich als Truppentransporter dienten.
Außerdem befanden sich auf ihrem achtzig Meter langen Unterdeck am Heck über vierzig Meter lange äußerst schnelle Luftkissen-Landungsfahrzeuge der Marine. Sie waren imstande, schweres Gerät wie Panzer und Geschütze mit über vierzig Knoten Geschwindigkeit an Land zu bringen.
Neben der Besatzung von 85 Offizieren und 890 Matrosen beiderlei Geschlechts befand sich eine Kampftruppe von über zweitausend Marineinfanteristen an Bord. Da sie nicht auf Luft und Landunterstützung zu warten brauchte, sondern gegebenenfalls Luft-, See und Landoperationen selbstständig durchzuführen sowie die nötige logistische Unterstützung bereitzustellen vermochte, konnte die Belleau Wood taktisch völlig unabhängig operieren. Sie verkörperte die Summe all dessen, was die Seestreitkräfte aus ihren Erfahrungen gelernt hatten, als sie sich im Zweiten Weltkrieg mühsam durch den Pazifik voranarbeiteten.
Devolis’ Kampftruppe bildete die Vorhut des Unternehmens. Sie sollte das Gelände erkunden und, sobald sie festgestellt hatte, dass die Berichte der Geheimdienste den Tatsachen entsprachen, einen schützenden Wall zwischen den Geiseln und der Hauptmacht des Gegners bilden und den eigentlichen Sturmtrupp herbeirufen. Weil bei dieser Mission
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