Das Komplott (German Edition)
ich weg war, setzte die Realität ein. Sie fühlte sich in unserer kleinen Stadt einsam und isoliert. »Wenn die Leute mich sehen, fangen sie an zu tuscheln«, schrieb sie in einem ihrer ersten Briefe. »Ich bin so einsam«, jammerte sie in einem anderen. Es dauerte nicht lange, bis ihre Briefe deutlich kürzer und immer seltener wurden. Genau wie ihre Besuche.
Dionne ist in Philadelphia aufgewachsen und hat sich nie mit einem Leben auf dem Land anfreunden können. Als ihr ein Onkel einen Job anbot, hatte sie es plötzlich sehr eilig, wieder nach Hause zu kommen. Vor zwei Jahren hat sie erneut geheiratet, und Bo, der inzwischen elf ist, wird von einem anderen Vater trainiert. Auf meine letzten zwanzig Briefe an meinen Sohn habe ich keine Antwort bekommen. Ich bin sicher, dass er sie nie zu Gesicht bekommen hat.
Ich frage mich oft, ob ich ihn je wiedersehen werde. Ich glaube, ich werde es versuchen, obwohl ich diesbezüglich noch unentschlossen bin. Wie tritt man einem Sohn gegenüber, den man so sehr liebt, dass es wehtut, der einen aber gar nicht erkennen wird? Ich werde nie wieder wie ein normaler Vater mit ihm zusammenleben. Wäre es Bo gegenüber fair, wenn sein verloren geglaubter Vater plötzlich auftaucht und darauf besteht, ein Teil seines Lebens zu werden?
Ich habe entschieden zu viel Zeit, um darüber nachzudenken.
Ich bin Häftling Nummer 44861-127 im Gefängniscamp in der Nähe von Frostburg, Maryland. Ein »Camp« ist eine Strafvollzugseinrichtung mit minimaler Sicherheitsstufe für jene von uns, die als nicht gewalttätig gelten und zu zehn Jahren oder weniger verurteilt wurden. Aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne, habe ich die ersten zweiundzwanzig Monate meiner Strafe in einem Bundesgefängnis mit mittlerer Sicherheitsstufe in der Nähe von Louisville, Kentucky, verbracht. In diesem Gefängnis, das für Gewalttäter gedacht ist, die mehr als zehn Jahre absitzen müssen, ging es völlig anders zu als im Camp. Das Leben dort war erheblich härter, aber ich habe überlebt, ohne zusammengeschlagen worden zu sein. Dass ich ein Marine war, hat mir dabei immens geholfen.
Was Gefängnisse angeht, ist ein Camp so etwas wie ein Urlaubshotel. Es gibt keine Mauern, keine Zäune, keinen Stacheldraht, keine Wachtürme und nur ein paar Wachen mit Waffen. Frostburg ist relativ neu, und die verschiedenen Einrichtungen sind schöner als die meisten öffentlichen Highschools. Warum auch nicht? In den Vereinigten Staaten geben wir pro Jahr vierzigtausend Dollar für die Inhaftierung eines Häftlings und achttausend Dollar für die Ausbildung eines Kindes an einer Grundschule aus. Im Camp gibt es Therapeuten, Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Sekretärinnen, Assistenten aller Art und Dutzende von Verwaltungsbeamten, die in Verlegenheit kämen, wenn sie wahrheitsgemäß erklären müssten, was sie acht Stunden am Tag tun. Aber die Gehälter werden ja vom Staat bezahlt. Auf dem Mitarbeiterparkplatz am Haupteingang stehen jede Menge gepflegte Autos und Pick-ups.
In Frostburg sitzen sechshundert Männer ein, und bis auf ein paar Ausnahmen benehmen wir uns alle sehr gesittet. Die Häftlinge mit einer gewalttätigen Vergangenheit haben ihre Lektion gelernt und schätzen die zivilisierte Umgebung. Andere, die den größten Teil ihres Lebens im Gefängnis verbringen mussten, haben endlich so etwas wie ein Zuhause gefunden. Viele dieser Berufskriminellen wollen nicht mehr weg von hier. Sie sind so ans Gefängnisleben gewöhnt, dass sie in Freiheit nicht mehr leben können. Ein warmes Bett, drei Mahlzeiten am Tag, medizinische Versorgung – auf der Straße draußen können sie auch nicht mehr erwarten.
Das soll nicht heißen, dass das Camp ein angenehmer Ort zum Leben ist. Das ist es nicht. Es gibt hier viele Männer wie mich, die nicht im Traum daran gedacht haben, dass sie eines Tages so tief fallen könnten. Männer mit ordentlichen Berufen, Karrieren, eigenen Firmen, mit Geld und netten Familien und Mitgliedschaften in Country Clubs. In meiner weißen Gang sind Carl, ein Optiker, der seine Medicare-Rechnungen ein bisschen zu stark frisiert hat, Kermit, ein Grundstücksspekulant, der dieselben Immobilien zwei- oder dreimal an verschiedene Banken verpfändet hat, Wesley, ein ehemaliger State Senator aus Pennsylvania, der sich bestechen ließ, und Mark, ein Hypothekengeber aus einer Kleinstadt, der es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hat.
Carl, Kermit, Wesley und Mark. Alle weiß, durchschnittliches Alter
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