Das Komplott (German Edition)
Freunde aus Kindertagen haben es bis heute nicht geschafft herzufahren, und von anderen habe ich seit zwei Jahren nichts mehr gehört. Die meisten meiner Anwaltsfreunde von früher haben zu viel zu tun. Der Kumpel, mit dem ich während meines Jurastudiums immer joggen war, schreibt alle zwei Monate, hat aber keine Zeit für einen Besuch. Er lebt in Washington, zweihundertvierzig Kilometer Richtung Osten, wo er angeblich sieben Tage die Woche in einer großen Kanzlei arbeitet. Mein bester Freund vom Marine Corps lebt in Pittsburgh, zwei Stunden von Frostburg entfernt, und ist genau ein Mal hier gewesen.
Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass mein Vater mich besucht.
Wie immer sitzt er allein in dem kleinen Besucherzimmer, eine braune Papiertüte vor sich auf dem Tisch. Es sind entweder Cookies oder Brownies von meiner Tante Racine, seiner Schwester. Wir geben uns die Hand, umarmen uns aber nicht – Henry Bannister hat noch nie in seinem Leben einen anderen Mann umarmt. Er mustert mich von Kopf bis Fuß, um sich zu vergewissern, dass ich nicht zugenommen habe, und fragt, wie viel Sport ich gemacht habe. Mein Vater hat in vierzig Jahren kein einziges Pfund zugelegt und passt immer noch in die Uniform aus seiner Zeit im Marine Corps. Er ist fest davon überzeugt, dass weniger essen gleichbedeutend mit länger leben ist. Henry hat Angst davor, jung zu sterben. Sein Vater und sein Großvater sind mit Ende fünfzig tot umgefallen. Er geht jeden Tag acht Kilometer spazieren und ist der Meinung, ich sollte das Gleiche tun. Inzwischen habe ich akzeptiert, dass er nie aufhören wird, mir zu sagen, wie ich mein Leben zu führen habe, egal, ob ich hinter Gittern sitze oder nicht.
Er tippt auf die braune Tüte. »Die sind von Racine.«
»Sag ihr Danke von mir«, erwidere ich. Wenn er sich solche Sorgen um meine Figur macht, warum bringt er mir dann jedes Mal, wenn er mich besucht, fettiges Gebäck mit? Ich werde zwei oder drei Stück davon essen und den Rest verschenken.
»Hast du in letzter Zeit mal mit Marcus geredet?«, fragt er.
»Nein, seit einem Monat nicht mehr. Warum?«
»Es gibt Probleme. Große Probleme. Delmon hat ein Mädchen geschwängert. Er ist fünfzehn, sie vierzehn.« Er schüttelt den Kopf und runzelt missbilligend die Stirn. Delmon war zehn, als er das erste Mal mit dem Gesetz in Konflikt geriet, und die Familie ist immer davon ausgegangen, dass er dauerhaft auf die schiefe Bahn gerät.
»Dein erster Urenkel«, antworte ich in dem Versuch, witzig zu sein.
»Ja, darauf kann ich stolz sein, was? Ein fünfzehnjähriger Idiot, der zufällig Bannister heißt, macht einem vierzehnjährigen weißen Mädchen ein Kind.«
Wir bleiben eine Weile bei diesem Thema. Seine Besuche werden häufig nicht nur durch das definiert, was gesagt wird, sondern durch das, was wir beide tief in unserem Innern vergraben haben. Mein Vater ist jetzt neunundsechzig, und anstatt den Herbst seines Lebens zu genießen, verbringt er die meiste Zeit damit, seine Wunden zu lecken und sich selbst leidzutun. Woraus ich ihm keinen Vorwurf machen kann. Seine Frau, mit der er zweiundvierzig Jahre lang verheiratet war, wurde ihm im Bruchteil einer Sekunde genommen. Während er noch um sie trauerte, kam heraus, dass sich das FBI für mich interessierte, und nach kurzer Zeit wurden wir von den Ermittlungen überrollt. Mein Prozess dauerte drei Wochen, und mein Vater war jeden Tag im Gerichtssaal. Mit ansehen zu müssen, wie ich vor einem Richter stand und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde, hat ihm das Herz gebrochen. Und jetzt sind Marcus’ Kinder alt genug, um ihren Eltern und der ganzen Sippe ernsthaft Sorgen zu machen.
Unsere Familie hat etwas Glück verdient, aber es sieht nicht so aus, als ob es klappen würde.
»Ich habe gestern Abend mit Ruby geredet«, informiert er mich. »Es geht ihr gut, und ich soll dir Grüße von ihr ausrichten. Sie sagt, dein letzter Brief sei sehr lustig gewesen.«
»Bitte sag ihr, dass mir ihre Briefe viel bedeuten. In den letzten fünf Jahren ist keine Woche vergangen, in der sie mir nicht geschrieben hat.« Ruby ist der Lichtblick in unserer zerfallenden Familie. Sie ist Eheberaterin und mit einem Kinderarzt verheiratet. Die beiden haben drei wohlgeratene Kinder, die von ihrem verrufenen Onkel Mal ferngehalten werden.
»Danke für den Scheck, wie immer«, sage ich nach einer langen Pause.
Er zuckt mit den Schultern. »Gern geschehen.«
Henry schickt mir jeden Monat hundert Dollar, wofür ich
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