Das Kreuz des Südens - Exodus aus Europa. Ein Zukunftsroman
Rechten hinzutrat und dem armen Tier den Hals durchtrennte. An dieser Stelle war Häberle damals aufgestanden und hatte lauthals fluchend und schimpfend den Saal verlassen. Das hatte weder etwas mit Kleists Stück zu tun, noch mit der zivilisierten Welt, wie er sie als Kind und Heranwachsender gekannt und geliebt hatte.
„Was war bloß geschehen?“ hatte er sich so oft seither gefragt. Er legte die Zeitung mit einem Schnauben auf den kleinen Tisch vor sich, und dann dachte er wieder an seine Flinte – und wie zuvor zuckte dabei ein flüchtiges Lächeln um seine Mundwinkel. Kalter Stahl und noch mehr rauchende Colts waren womöglich die einzige Medizin für diese kranke Welt. „Was krank ist, was morsch ist im Leben der Völker, das sollte vergehen, das muß vergehen, um neuem, um Gesundem Platz zu machen“, überlegte er. Aber waren die Völker Europas tatsächlich schon an diesem Punkt, an dem sie von der Weltbühne zurücktreten mußten, um ihren Posten abzutreten? Häberle bezweifelte es.
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Es klingelte zweimal kurz hintereinander an der Haustüre der Bühlers. Die Mutter, Luise Bühler, hatte gerade mit ihren beiden Kindern Erik und Lucretia-Amalia zu Abend gegessen und war damit beschäftigt, die Geschirrspülmaschine zu füllen, als das schrille Geräusch ertönte. „Erik, gehst Du mal schauen, wer da noch läutet? Vielleicht ist es nur der Vater, weil er wieder seinen Hausschlüssel hat liegen lassen“, rief sie aus der Küche ins Eßzimmer, in dem Erik noch am Tisch saß und mit seinem Nachtisch kämpfte. „Ich geh‘ schon, das wird bestimmt der Vater sein. Ich habe den Schlüsselbund nämlich vorhin auf seinem Schreibtisch gesehen.“ Mit diesen Worten schob er den Quark von sich, sprang auf und setzte sich Richtung Wohnungstüre in Bewegung. Stella, die große deutsche Schäferhündin, die ausgestreckt auf dem Teppich gelegen, bei dem Läuten der Klingel aber die Ohren gespitzt und gleich darauf mit dem Schwanz gewedelt hatte, folgte ihm bei Fuß. Sie war ein prächtiges Tier, wenngleich schon etwas in die Jahre gekommen. So es jemanden in der Familie gab, der mit Sicherheit wußte, daß es Martin Bühler war, der vor der Türe stand, dann gewiß sie.
Und tatsächlich: „‘n Abend Erik, ihr habt wohl schon gegessen, was?“ fragte er, als er hereintrat. „Ganz recht, Vater, aber wir haben Dir was übrig gelassen“, grinste der Sohn, der mit seinen neunzehn Jahren längst erwachsen war. „Wäre ja noch schöner, wenn nicht“, brummte Martin Bühler. Er wirkte etwas abgekämpft und deprimiert. „Wieder mal Überstunden in der Brandbekämpfung, Junge. Werd‘ bloß nicht Feuerwehrmann, da kommst du nicht mehr zur Ruhe, nicht in Pforzheim…“ „War‘s wieder so schlimm?“ hörte man die Mutter aus der Küche rufen, die kurz darauf ins Eßzimmer trat, die Reste des Abendessens in einem Topf unter dem Arm tragend. Auch Lucretia-Amalia erschien wieder im Zimmer und setzte sich mit den anderen an den Tisch, um den neuesten Nachrichten und Erzählungen des Pforzheimer Feuerwehralltags zu lauschen.
„Ach, ein Häuserblock im Arlinger und ein Straßenzug in der Nordstadt stehen seit heute Mittag in Flammen. Der Brand im Arlinger ist so gut wie gelöscht und der andere zumindest unter Kontrolle gebracht.“ „Wieder Brandstiftung?“ fragte die sechzehnjährige Lucretia-Amalia. „Davon kannst Du ausgehen!“ rief ihr Bruder Erik in die Runde, und sein Vater pflichtete ihm bei: „Wenn das keine Brandstiftung war, freß‘ ich ‘nen Besen! Es gab eindeutig Brandherde an verschiedenen Stellen. Anwohner sagten uns, daß es zunächst verschiedene Feuer gewesen wären, die zu einem großen einzelnen Brand erst allmählich angewachsen sind. Und ich weiß auch schon, wer die Brände gelegt hat.“ „Ach ja, wer denn?“ fragte die Tochter und zog dabei die Augenbrauen hoch, als wüßte sie schon, was Martin auf der Zunge lag. – „Kanaken, wer sonst? Das Pack steckt zu neunzig Prozent dahinter. Neulich haben sie sogar auf uns geschossen, als wir gerade einen Brand in einer Diskothek auf der Wilferdinger Höhe löschen wollten. Einen guten Kollegen, ihr wißt’s, hab ich dabei verloren, zwei weitere wurden verwundet.“
„Du kannst nicht immer den Migranten die Schuld an allem geben, selbst wenn sie es waren. Vielleicht hatten sie keine andere Wahl, als kriminell zu werden, weil es ihren Eltern an Geld fehlte. Wenn sie dann mal in solchen Banden drin sind, und von ihnen wird verlangt,
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