0050 - Der Mörder aus der Bronx
Es fing an einem hübschen, warmen Sommermorgen an. Phil und ich waren an diesem Morgen zu unserem Chef, Mr. High, bestellt worden. Es ging um Harmloses. Um Organisationsfragen. Genau: um Krankheitsvertretungen.
»Revier 81 und Revier 79 sind zurzeit ohne Kriminalinspektor«, erklärte Mr. High. »Beide Reviere gehören zum Stadtteil Bronx und werden also von der Kriminalinspektion 12 betreut. Der Zufall wollte es, dass fast gleichzeitig die Inspektoren Hughwill und Toon krank wurden, ernstlich krank. Es wird noch sechs bis acht Wochen dauern, bis sie wieder dienstfähig sind. Webster, der Chef von Inspektion 12 rief mich an und fragte, ob das FBI ihm nicht aushelfen könnte. Schön, ich dachte, für sechs bis acht Wochen können wir Webster den Gefallen tun, und weil Sie ohnedies unzertrennlich sind, dachte ich an Sie beide. Die Reviere stoßen aneinander. Wenn etwas los sein sollte, brauchen Sie auf die gewohnte Zusammenarbeit nicht zu verzichten.«
Ich verzog das Gesicht.
»Wollen Sie uns wirklich für sechs Wochen zum Diebe fangen verdonnern, Chef?«, fragte ich.
Mr. High lachte.
»Ich sehe es anders, Jerry. Ich bin der Meinung, Sie haben eine Erholung verdient. Der Job in der Bronx ist eine Erholung. Die Leute, mit denen Sie für gewöhnlich zu tun haben, sind rasch mit der Kanone zur Hand. Taschendiebe und allenfalls mittelschwere Einbrecher, mit denen Sie es in der Bronx zu tun bekommen könnten, pflegen sich in aller Gelassenheit verhaften zu lassen, wenn sie gestellt worden sind. Okay, warum sollen Sie nicht einmal mit Leuten umgehen, bei denen es am Ende nicht unbedingt auf eine lebensgefährliche Schießerei hinausläuft?«
»Vielen Dank, Chef«, antwortete ich. »Wenn Sie glauben, dass es uns gut täte, und nicht zu langweilig für uns wird, dann erheben wir keinen Widerspruch. Deine Meinung, Phil?«
Phil nickte.
In diesem Augenblick betrat Cooley, der Leiter unserer Nachrichtenabteilung den Raum.
»Ein meterlanges Telegramm aus Washington, Sir«, meldete er Mr. High und legte ihm zwei Seiten auf den Tisch. »Chiffriert!«
»Danke«, sagte Mr. High, und Cooley marschierte wieder ab.
»Augenblick«, bat der Chef, stand auf, ging zum Wandtresor und schloss ihn auf. Er nahm die Dechiffriermaschine, eine Mischung aus Schreib- und Rechenmaschine heraus, stellte sie auf den Schreibtisch. Er spannte den Bogen ein, tippte auf der Tastatur herum, indem er immer wieder einen Blick auf das Telegramm warf, drehte an der Seitenkurbel und produzierte auf diese Weise den Text in Klarschrift auf den Bogen.
Phil beugte sich zu mir herüber.
»Vielleicht springt dabei ein Job für uns heraus, der interessanter ist als die Inspektorenspielerei«, flüsterte er.
Mr. High brauchte eine Viertelstunde für die Dechiffrierarbeit. Ich beobachtete sein Gesicht. Es wurde ernster und ernster. Schließlich nahm er den Bogen aus der Maschine, schob den Apparat zur Seite, legte das Blatt auf den Schreibtisch, las noch einmal Zeile um Zeile und murmelte: »Unglaublich! Einfach unglaublich!«
»Sie scheinen eine interessante Nachricht aus Washington bekommen zu haben«, meldete ich mich.
Mr. High hob den Kopf. Er war fast ein wenig abwesend.
»Ach Jerry«, sagte er. »Ich habe Sie beinahe vergessen.« Er schlug mit der flachen Hand auf das Papier. »Eine tolle Nachricht!«
»Ein Job für uns, Chef?«, fragte Phil.
»Leider nicht. Und ich kann Ihnen nicht einmal sagen, worum es sich handelt. Geheimstufe X 5. Nur für Sektionschef bestimmt.«
»Ach, X 5«, brummte ich. »Dann ist es irgendetwas Politisches, und das interessiert mich ohnedies nicht.«
»Es bleibt also bei der Bronx?«, fragte Phil.
»Natürlich«, antwortete Mr. High. »Am besten melden Sie sich gleich bei Oberkommissar Webster. Ich wette, er freut sich über die Zusammenarbeit mit Ihnen.«
***
Die Kriminalinspektion 12 liegt im Herzen der Bronx, in der 48. Straße, ein dunkles, unscheinbares Gebäude, links und rechts von zwei Fabrikbauten eingeklemmt. Sie stellt die kriminalistische Betreuung für die Reviere der Bronx.
Webster, ein Riesenbursche vom Gewicht eines Nilpferdes, empfing uns mit ausgebreiteten Armen.
»Willkommen!«, grüßte er mit dröhnender Stimme. »Willkommen. Ich wusste doch, dass der gute High keinen alten Freund im Stich lässt.«
Er drückte uns in Sessel, brachte eine Flasche zum Vorschein und brummte: »Kleiner Willkommensschluck!« Bei diesen Worten goss er uns zwei Gläser mit Whisky voll, dass sie überzuschwappen
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