Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
einer Gruppe ist jeder Einzelne nur so schnell wie das langsamste Mitglied.« Er blickte vielsagend zu Mary hinüber, die das nicht einmal wahrnahm. »Allein bin ich flexibler. Muss auf niemanden Rücksicht nehmen und kann blitzschnell entscheiden, ohne mich mit anderen absprechen zu müssen. Und wenn ihr alle ehrlich zu euch wärt, dann wüsstest ihr, dass es genauso ist und nicht anders.«
Arschloch, dachte Tian. Was ist mit Freundschaft, Kameradschaft, dem Gefühl, nicht allein zu sein, sich gegenseitig zu unterstützen?
»Okay«, sagte Jeb. »Ich akzeptiere das. Gib uns Bescheid, wenn du dich entschieden hast.«
»Geht klar.«
Leóns Worte hatten die Gruppe nachdenklich gemacht. Fast alle sahen betreten zu Boden. Dachten etwa auch noch andere darüber nach, Einzelkämpfer zu sein? Es wurde Zeit, dass jemand die betretene Stille zerschlug.
»Also Leute«, sagte Tian laut. »Wer will meinen Rucksack tragen? Nicht drängeln, bitte nicht drängeln. Bei mehr als einem Bewerber entscheidet das Los.«
Zögerlich lachten die anderen, selbst León. Man merkte, wie sich die angespannte Stimmung wieder löste. Er wollte hier raus und endlich aufbrechen. Zufrieden warf sich Tian den Rucksack über die Schulter. Dann ging er zu Jeb hinüber und klopfte ihm auf den Rücken. Ohne dass die anderen ihn hören konnten, flüsterte er leise: »Lass uns aufbrechen. Im Augenblick ist die Stimmung gut, wer weiß, was in fünf Minuten ist.«
Tian ging an Jeb vorbei und betrat den Trampelpfad, auf dem sie am gestrigen Tag in den Wald gegangen waren. Er drehte sich nach den anderen um. Jeb lächelte ihn dankbar an.
»Boys and girls, hier geht’s lang.«
12.
Die Sonne brannte bereits heiß vom wolkenlosen Himmel herab, als sie die Ebene erreichten. Durch die Helligkeit mussten sie sich keine Gedanken darum machen, was dort auf der Jagd war.
Jenna hob den Kopf, blinzelte in die Sonne und fragte sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, durch den Wald zu marschieren. Die Hitze hier draußen war schon jetzt am Morgen nahezu unerträglich. Ein heißer Wind strich über die endlose Graslandschaft und trocknete die letzten feuchten Stellen aus, die der Regen hinterlassen hatte.
Zum Glück hatten sie im Wald einige tiefere Pfützen entdeckt, mit deren braunem Wasser sie notgedrungen ihre Flaschen aufgefüllt hatten. Auch die großen Blätter der Farne hatten neue Wasservorräte für sie bereitgehalten. Doch Jenna wusste, dass dieses Wasser wohl kaum für den ganzen Tag reichen würde.
León war bei ihrer Gruppe geblieben. Nachdem sie gemeinsam den Wald verlassen hatten, sahen auch die anderen ihn zum ersten Mal: Deutlich sichtbar, rechts von der Sonne stand ein Stern am Himmel und funkelte gegen das strahlende Blau an. Während sie Stunde um Stunde auf ihn zumarschierten, änderte er seine Position nicht, sondern hing wie festgenagelt am Firmament.
Vor ihr ging Jeb, hinter ihr folgte der Rest der Gruppe, nur Mary war etwas zurückgefallen und trottete ihnen allein hinterher.
Zweimal hatten sie bereits Rast gemacht, einen Teil ihrer Vorräte gegessen und fast ihr ganzes Wasser verbraucht. Nun lief ihnen der Schweiß über das Gesicht. Der Schatten und Wasser spendende Wald lag längst weit hinter ihnen und war bereits nicht mehr auszumachen. Um sie herum war nichts als weite öde Steppe.
Während sie stumm marschierten, dachte Jenna darüber nach, was sie in der Nacht zuvor gesehen hatte. Oder was sie glaubte, gesehen zu haben, denn ganz sicher war sie sich nicht.
Jeb hatte Kathy geküsst. Lang und innig. So hatte es ausgesehen, als sie nach oben ins Geäst geblickt hatte. Oder war das eine Täuschung gewesen? Waren sie nur dicht beieinandergestanden und hatten leise miteinander gesprochen, um die anderen nicht zu wecken?
Jenna wollte das Bild verdrängen, aber es gelang ihr nicht. Mal sah sie, wie Jeb Kathy küsste, dann wiederum wirkte die Szene ganz harmlos.
Es hatte wehgetan, die beiden zu beobachten. Jenna glaubte zu spüren, dass Jeb sie mochte, dass da eine Verbindung zwischen ihnen war. Aber woher sollte diese Verbindung kommen, sie kannte Jeb doch kaum. Kathy hingegen traute sie nicht über den Weg. Sie war eingebildet, herrisch und arrogant. Kathy wollte Jeb nur benutzen, zumindest vermutete Jenna das. Die Rothaarige umgarnte ihn, weil sie sich einen Vorteil davon erhoffte, aber wenn es um ihr eigenes Überleben ginge, würde sie ihn bedenkenlos opfern.
Trotzdem. Sie hatten sich geküsst.
Sie konnte es sich noch
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