Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)

Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)

Titel: Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
Vom Netzwerk:
hundertmal einreden, dass ihr das nichts bedeuten sollte.
    Und dennoch versetzte ihr der Gedanke einen Stich, den sie sich nicht erklären konnte.
    Mischa hatte sich zu Tian gesellt. Der Asiate schien im Gegensatz zu ihm hitzeresistent zu sein. Tians Gesicht war trocken und wirkte geradezu entspannt.
    »Du scheinst dir keine Sorgen zu machen«, sprach Mischa ihn an und passte sein Tempo an.
    »Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll.«
    »Dann glaubst du nicht an die Geschichte mit den sechs Welten und den Toren? Und dass in jeder Welt einer von uns zurückbleiben muss?«
    »Na ja, irgendwie schon, aber im Augenblick ist alles noch weit weg. So weit, dass es unreal wirkt. Es dauert ja noch zweiundsiebzig Stunden, bevor es richtig brenzlig wird.«
    Mischa sah ihn verblüfft an. »Weniger, ein paar Stunden sind ja bereits um. Aber meinst du nicht, man sollte auf alles vorbereitet sein?«
    Tian blinzelte ihm zu. »Wer sagt, dass ich das nicht bin?«
    »Aber wie kannst du auf so was wie das hier vorbereitet sein? Echt, aus dir werde ich einfach nicht schlau: Auf der einen Seite wirkst du wie ein Träumer, andererseits habe ich das Gefühl, du hast schon eine Menge erlebt.«
    »An das ich mich nicht erinnern kann.«
    Mischa lachte. »Richtig.«
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, dann sagte Tian: »Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
    Mischa zögerte. »Ja und nein. Da spuken Bilder in meinem Kopf herum.«
    »Was für Bilder?«
    »Autos, schwarze Limousinen, ein greller Blitz, Staub und Nebel, Chaos. Dann nichts mehr.« Wieder ein Zögern. »Manchmal glaube ich, ein Gesicht zu erkennen, das sich über mich beugt und mir etwas Unverständliches zuflüstert. Es ist ein Mann, zumindest denke ich, dass es ein Mann ist, aber ich kann sein Gesicht nicht erkennen. Er sagt immer wieder dieselben Worte, aber ich kann sie nicht hören, irgendetwas ist mit meinen Ohren passiert.«
    »Aber jetzt kannst du hören«, sagt Tian. »Also war es wahrscheinlich nur ein Traum.«
    »Hoffentlich. Dabei ist alles so real und doch verschwommen.« Er seufzte laut auf. »Und woran erinnerst du dich?«
    »Da ist eigentlich nichts, nur Nebel. Und dann einzelne Bilder.«
    Mischa bedeutete ihm weiterzusprechen.
    »Es klingt bestimmt total bescheuert, aber ich sehe eine Stadt. Sie ist mir fremd und doch absolut vertraut.«
    »Hat die Stadt einen Namen?«
    »Keine Ahnung. Ich sehe immer nur Ruinen. Ein mächtiges Tor mit Reitern auf dem Dach. Eine hohe Säule, auf der ein goldener Engel steht. Alte Gebäude neben modernen Hochhäusern aus Glas. Verlassene Schächte im Untergrund und immer wieder Schilder, auf denen Orte und Namen stehen. Aber ich kann sie nicht lesen. Es herrscht immerwährender Schneefall, ewiger Winter. Graue Mauern, zerstört, alles ist verbrannt oder zu Schutt geworden. Der Himmel ist bleigrau. Ebenso grau sind die Flocken, die zur Erde herabfallen und alles bedecken. Es ist kalt. Ich friere, aber ich weiß, dass ich nicht stehen bleiben darf. Überall lauert der Feind. Er jagt mich. Unablässig. Ich habe nur eine Chance, ich muss den goldenen Engel erreichen, der in den Himmel ragt. Dort finde ich Frieden, dort gibt es Erlösung.«
    »Das sind ziemlich konkrete Eindrücke.« Mischa blickte ihn an. »Glaubst du, es ist deine Heimat?«
    Tian schüttelte energisch den Kopf. »Nein, aber ich war wohl dort, viele Male, und doch fühlt sich alles nicht real an.«
    »Vielleicht ist es nur ein immer wiederkehrender Traum.«
    »Nein, irgendwie ist es mehr als nur ein Traum. Ich glaube, in diesen Bildern ist die Lösung des Rätsels verborgen.«
    »Welches Rätsel?«
    »Warum wir hier sind und was das alles zu bedeuten hat.«
    León hatte auf Mary gewartet. Aus den Augenwinkeln beobachtete er sie. Sie war zweifelsohne hübsch. Zwar wirkte ihr Gesicht unendlich zart und zerbrechlich, aber der volle rote Mund mit den sinnlichen Lippen sprach da eine ganz andere Sprache. Er sprach von einer Leidenschaft, die Mary bisher erfolgreich verborgen hatte. León fragte sich, warum sie so wenig Ausdauer aufbrachte. Warum sie kraftlos hinter den anderen hertrottete. Ohne zu klagen, ohne zu fragen.
    Was ist los mit dir?
    León stellte sich diese Frage nicht aus Mitleid oder Neugierde. Es war einfach so, dass Mary die Gruppe aufhielt. Er fühlte sich von ihrer Lethargie geradezu provoziert. Jeder, wirklich jeder schien noch Reserven zu haben. Mary hingegen taumelte nur noch durch die karge

Weitere Kostenlose Bücher