Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
Gaststättenkritiker, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, wohnhaft in Potsdam. Warum steigt so ein Mann im Park Inn ab? In regelmäßigen Abständen, immer alle zwei, drei Wochen. Immer am Wochenende. Die Antwort liegt auf der Hand und scheint mit der asiatischen Frau zu tun zu haben.
Ich stehe vom Bett auf und betrachte das Bild an der Wand. Es kommt mir irgendwie bekannt vor. Es ist ein merkwürdiges Gestrüpp aus Pflanzen, Blumen. Es könnten Orchideen sein, Lilien. Das Bild wirkt unbeholfen und verstörend zugleich. Es erinnert mich an die Art-brut-Maler. An Adolf Wölfli. An die Künstler aus der psychiatrischen Anstalt im österreichischen Gugging. Ich will es von der Wand nehmen, aber es ist angeschraubt.
Das Apartment ist nur notdürftig eingerichtet. Ein Flachbildschirm hängt an der anderen Wand. Ein Tisch, ein Stuhl. Auf dem Tisch ein Handy und ein Umschlag, darin Geld. Zweitausend Euro in kleinen Scheinen. Daneben eine Plastikkarte als Legitimation für kriminalistische Ermittlungen, mit dem Stempel der Berliner Kripo drauf. Für alle Fälle. Keine Waffe. Ich lege das Foto zur Seite und tippe Kleebergs Nummer ein.
»Wo ist die Waffe?«
Schallendes Gelächter am anderen Ende der Leitung. Dann: »Wozu brauchen Sie eine Waffe? Beherrschen Sie nicht diese asiatische Kampfsportart?« Dann lacht er wieder, als wäre ihm dieser Witz besonders geglückt.
Ich lege auf. Wenige Sekunden später bekomme ich eine SMS von ihm. Der volle Kühlschrank muss reichen.
Ich schaue nach. Der Kühlschrank ist leer bis auf drei Flaschen Wodka. Im Gemüsefach liegt eine große Tube Wasabi. Das scheint Kleebergs Art von Humor zu sein. Ich kippe zwei Flaschen in den Ausguss. Bei der dritten fangen meine Hände immer stärker an zu zittern. Scheiße! Ich nehme einen Schluck. Dann noch einen. Ich lege mich angezogen aufs Bett inmitten der Fotos vom Opfer, und starre zur Decke.
Fängt das schon wieder an? Muss ich nur die sichere Umgebung verlassen, um wieder in den alten Trott zu verfallen? Mir wird klar, dass ich noch nicht so weit bin, noch nicht so gefestigt wie erhofft. Ich müsste jetzt aufstehen, die Wohnung verlassen und zurückfahren. Ich liege wie gelähmt auf dem Bett, starre auf das Bild an der Wand und kann mich nicht bewegen. Einzig der Arm, der die Flasche zum Mund führt, erhebt sich.
Als die Flasche fast leer ist, fällt mir auf, dass irgendetwas mit dem Foto der Überwachungskamera nicht stimmt. Doch ehe ich den Gedanken fassen kann, schlafe ich ein.
Das Gesicht ist wieder da! Ganz plötzlich taucht es in meinem Rücken auf, tippt mir auf die Schulter, sieht mich mit seinen erschrockenen Augen an. Der Junge hat ein Mobiltelefon in der Hand, so groß wie ein Ziegelstein. Unzählige Finger tippen auf dem Ding herum, als wäre es eine Computertastatur. Es klappert und scheppert. Nicht weit von mir entfernt höre ich die Geräusche von Schaubuden und Fahrgeschäften.
»Wer haut den Lukas?«, schreit jemand, während das Gesicht mich noch immer betrachtet, als wäre ich ein Abgrund, in den es sich gleich hineinstürzen möchte. Ich renne los, ohne mich umzudrehen, laufe rückwärts, immer schneller, stolpere, ohne zu stürzen. Auf einmal explodieren überall Sprengkörper, als wäre Silvester mitten im Sommer. Mülleimer wirbeln durch die Luft. Und Menschen. Es regnet Extremitäten. Beine, Arme, auch Köpfe und Gesichter. Sie sehen alle gleich aus. Sie sehen aus wie das Gesicht mit den erschrockenen Augen, das mich immerzu anstarrt, als wollte es sagen, Tu es nicht! und Du bist schuld!
Ich versuche es abzuschütteln, haste weiter, vorbei an den Fahrgeschäften, Autoscootern, Schiffsschaukeln, Zuckerwattebuden, Losverkäufern, bis ich das Gefühl habe, im Kreis gelaufen zu sein. Alles beginnt von neuem: die Sprengkörper, die Mülleimer, die durch die Luft fliegenden Menschen. Das Gesicht mit den erschrockenen Augen öffnet den Mund, als wollte es mich verschlucken. In seinem Rachen erscheint eine Landschaft, Berge, Wüste. Angezogen von dem sich öffnenden Rachen, drifte ich immer weiter auf das Gesicht zu. Auch wenn ich mich wehre, um mich schlage, die Beine in den Boden stemme, kann ich nicht verhindern, dem Gesicht immer näher zu kommen. Bis ich in den offenen Mund stürze, durch die Landschaft falle, die Berge, die Wüste …
»Nein!«, schreie ich und höre ein Geräusch, als hätte der Puck vom Hau den Lukas die Klingel getroffen. Das Geräusch ist direkt neben mir. Ich schrecke hoch, reiße die Augen
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