Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
dahin.
Ich stehe auf und gehe zu seiner gepolsterten Tür.
»Gehen Sie jetzt wieder ins Kloster?«, fragt er und bleibt hinter seinem Schreibtisch stehen.
Ich bleibe ebenfalls stehen. »Woher wissen Sie …?«
»Kleeberg.«
Ohne mich umzudrehen, sage ich: »Das würde Ihnen auch mal guttun.«
Dann schließe ich die Tür von außen.
ICH
Er stirbt. Ich stehe an seinem Bett. Ich weiß nicht, ob er mich erkennt. Ich erkenne ihn kaum. Das ist nicht mehr mein Vater, das ist bereits ein Toter.
»Seine Lebenserwartung ist gleich null …«, behauptet der leitende Arzt in einem Vieraugengespräch.
So, wie er auf der Intensivstation im Bett der Charité liegt, sieht er tatsächlich aus, als sei er bereits gestorben. Die Wangen sind eingefallen, die Augen tief im Schädel, die Haut fahl, die Haare ausgefallen, die Lippen blutleer und rissig. Nichts erinnert mehr an früher. Das ist nicht der Mann hinter dem Wok aus der kleinen Garküche von der Dimitroffstraße. Das ist nicht der Mann aus meiner Erinnerung … Überall Schläuche, Infusionen, Maschinen. Er sieht mich an, als wäre ich das Gespenst.
Wir sind zwei Gespenster , denke ich. Mit dem Unterschied, dass er bald tot sein wird und ich die Chance habe, zu leben.
»Vater?«
Seine Augen sind wie matte Steine. Sein Gesicht ist eine Projektionsfläche, auf der ich mein eigenes Spiegelbild erkenne. Ich hocke in der hintersten Ecke der Garküche in seinem Rücken. Es riecht nach heißem Fett, nach angebratenem Gemüse. Es dampft, die Hitze dringt in alle meine Poren. Ich schwitze. Ich beobachte ihn mit flackerndem Blick, als wäre er ein Raubtier, das mich jeden Moment angreifen könnte. Er würdigt mich keines Blickes, als wäre ich nicht da. Als gehörte ich nicht hierher. Ein Fremdkörper, ein Aussätziger, ein Paria. Fremd in dieser Welt der Garküchen, der Vertragsarbeiter, der fernöstlichen Tradition, der Vietnamesen. Du bist keiner von uns , scheint er sagen zu wollen, mit seinen Augen in meinem Rücken. Du wirst nie einer von uns werden. Auch wenn deine Augen anderes vermuten lassen. Auch wenn dein Gesicht dem unsrigen gleicht. Du gehörst nicht dazu. Nie!
Er bewegt den Kopf, ganz leicht, fast unmerklich, als wollte er mir bedeuten: Ich habe auf dich gewartet. Ich habe durchgehalten, mich geweigert zu sterben und den Tod hinausgezögert, bis ich dich, meinen Sohn, noch einmal zu Gesicht bekomme.
»Hier bin ich.«
Sein Blick durchbohrt mich, es fühlt sich an wie eine Niederlage. Ich komme mir wie ein aufgespießtes Insekt auf einer Styroporplatte vor, als wäre ich der Tote und er das Jüngste Gericht.
»Ich soll dich von Mutter grüßen.«
Auf einmal scheint ihn Wehmut zu befallen. Meine Niederlage wird zu seiner. Im Angesicht des Todes wiegen die verpassten Gelegenheiten des Lebens umso schwerer.
»Du kannst nichts dafür«, sage ich und weiß, dass es nicht stimmt. Es ist nie einer alleine schuld. Auch der andere trägt immer mit dazu bei, dass etwas wird, wie es ist, selbst wenn er es nicht will. Kaputte Familien, kaputte Beziehungen, kaputtes Leben. Er ist nicht nur Opfer, sondern auch ein bisschen Täter. Wie ich, Mutter und alle anderen auch.
»Tut mir leid.«
Das stimmt nicht. Es tut mir nicht leid.
Er scheint es zu merken.
Ein Augenaufschlag noch, dann ist es vorbei. Er rührt sich nicht mehr, sieht mich aber noch immer an. Mit toten Augen. Die Herzkurve verliert ihre Zacken. Der Monitor über dem Bett ist stumm, nur noch eine grüne Linie. Das war’s. Still, leise, ohne dass ich es bemerkt habe, ist er abgetreten.
»Vater?«
Der Faden ist zerrissen. Endgültig.
ER
Er ist fertig. Fix und fertig. Und doch noch nicht am Ende. Ein Rest bleibt.
Der mehr schmerzt als alles andere.
Ich habe es verdammt noch mal nicht geschafft, Kitty nahezukommen , denkt er, zu Kitty zu gelangen. Ich hänge in diesem Leben fest, während sie auf mich wartet. Kitty! Er weint, schlägt mit der Faust mehrmals gegen die Wand, bis an den Knöcheln die Haut aufplatzt. Er spürt nichts, keinen körperlichen Schmerz, sieht Blutflecken an der Mauer. Flecken, die Gesichter ergeben, immer dasselbe Gesicht, ihr Gesicht. Kitty! Er sieht sie, sie lächelt, bewegt den Mund, die Lippen, er hört sie flüstern, »Komm, na komm schon, trau dich.«
Ich muss zu ihr! Jetzt!
Er sieht zum Gitter hoch. Dann betrachtet er das Leintuch auf der Pritsche.
Es kommt ihm eine Idee. Er lächelt.
ICH
Greta ruft öfter an. Ich versuche, das Handy zu ignorieren, schalte es
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