Das Landmädchen und der Lord
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Als sie ihr Reisekleid ausziehen wollte, klopfte es an der Tür. „Herein!“, rief sie, in der Annahme, Mama würde zu ihr kommen.
Stattdessen trat ein junges Mädchen mit braunem Haar und dunklen Augen ein, knickste und lächelte schüchtern. „Guten Tag, Miss Hampton, ich bin Iris. Miss Royston hat gesagt, ich soll in den nächsten Wochen Ihre Zofe sein und Sie nach London begleiten.“
„Oh …“ Überrascht hob Susannah die Brauen. Im Cottage hatte sie sich daran gewöhnt, für sich selbst zu sorgen. Aber es war zweifellos sehr angenehm, wieder bedient zu werden, wenn auch nur für ein paar Wochen. „Das freut mich, Iris. Jemand hat das Kleid ausgepackt, das ich heute Abend tragen möchte. Waren Sie das?“
„Ja, Miss, ich habe es gebügelt, während Sie Tee tranken.“ Bewundernd schaute Iris ihre neue Herrin sah. „So schönes honigblondes Haar … Darf ich Sie frisieren?“
„Wissen Sie, wie man das macht?“ Susannah zögerte, denn sie besaß sehr feines Haar, und es gelang ihr nie, es für längere Zeit in Ordnung zu halten.
„Gewiss. Meine Mutter war vor ihrer Hochzeit die Zofe einer feinen Dame, und sie brachte mir all die Fähigkeiten bei, die ich brauche. Vor ein paar Wochen stellte Miss Royston mich ein. Sie hat ihre eigene Zofe. Aber ich konnte ein paar Mal aushelfen. Und jetzt arbeite ich für Sie, Miss. Oh, es wird so aufregend sein, in London zu leben.“
„Das glaube ich auch. Also gut, frisieren Sie mich, Iris. Ich habe schon oft mit meinem Haar experimentiert. Leider ist es ziemlich widerspenstig. Mal sehen, was Sie daraus machen.“
„Sie werden staunen, Miss.“
Als Susannah zum Dinner nach unten ging, fühlte sie sich wundervoll. Sie trug ein elegantes gelbes Kleid, das Mama ihr ein paar Wochen vor Papas Tod zum Geburtstag gekauft hatte. Seither hatte sich keine Gelegenheit mehr geboten, es anzuziehen. Aber dies war ein besonderer Abend, und sie wollte möglichst gut aussehen. Ihr Haar war am Hinterkopf zu einem doppelten Knoten geschlungen und mit einer Seidenblume geschmückt. Zu beiden Seiten ihres Gesichts ringelten sich zarte Löckchen.
„Oh, du hast dich anders frisiert!“ Verblüfft starrte Margaret Hampton ihre Tochter an. „Jetzt siehst du viel erwachsener aus, Liebes.“
„Dieser Stil steht dir sehr gut“, meinte Amelia. „Bist du mit Iris zufrieden, Susannah? Ich dachte, sie wäre dir eine Hilfe. Wenn das ihr Werk ist, war mein Vertrauen in ihre Fähigkeiten berechtigt.“
„Ja, sie hat mein Haar hochgesteckt“, bestätigte Susannah. „Sie schlug vor, verschiedene Frisuren auszuprobieren und herauszufinden, welche am besten zu mir passt. Wie ge schickt sie ist … Das könnte ich niemals.“
„Inzwischen habe ich mich an die Veränderung gewöhnt, und sie gefällt mir“, erklärte Ms. Hampton, die ihre Tochter immer noch nachdenklich musterte. „Für mich warst du stets mein kleines Mädchen. Und nun muss ich eine junge Dame in dir sehen.“
„Eine bildschöne junge Dame“, ergänzte Amelia. „Sicher wird sie in London Aufsehen und das Interesse zahlreicher Junggesellen erregen.“
„Hoffentlich lernt sie einen netten Gentleman kennen“, seufzte Mrs. Hampton. „Sie ist so ein gutes Mädchen. In diesen letzten Monaten war sie mein einziger Trost. Wie ich ohne sie zurechtgekommen wäre, weiß ich nicht.“
„Das glaube ich dir, Margaret“, beteuerte Amelia lächelnd. „Aber jetzt hören wir auf, über Susannah zu reden. Sie ist schon ganz rot geworden.“
„Wenn ich einen Heiratsantrag bekomme, wünsche ich mir, dass ich den Gentleman mag“, gestand Susannah. „Daheim hat sich jemand für mich interessiert. Aber er ist viel älter als ich, und er gefiel mir nicht besonders.“
„Wahrscheinlich kannst du in der Stadt unter vielen Bewerbern deine Wahl treffen“, prophezeite Amelia. „Als ich in deinem Alter war, fand man mich sehr hübsch, und ich hätte mehrmals heiraten können. Aber ich zögerte. Und schließlich war es zu spät. Leider habe ich meine Chancen verpasst. Aus deinen musst du das Beste machen.“
„Das werde ich tun“, versprach Susannah. „Wenn ich Glück habe, wird mir ein Gentleman begegnen, den ich mag.“
Den ich lieben kann, fügte sie in Gedanken hinzu. So inständig sehnte sie sich nach einem Prinzen, der sie auf einem Schimmel zu seinem Schloss bringen würde, in eine wunderbare Zukunft. Während sie ihrer Mutter und Amelia in den Speiseraum folgte, lächelte sie über diese albernen Wunschträume.
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