Herrin des Blutes - Thriller
Schlagzeile im Chattanooga Herald (Ausgabe vom 1. Mai):
»HAUS DES BLUTES«
GIBT WEITERHIN RÄTSEL AUF
CHATTANOOGA, TENNESSEE – Etwa ein Jahr ist seit Bekanntwerden der näheren Umstände verstrichen, die ein altes Herrenhaus hoch oben in den Bergen im Osten Tennessees jahrelang zum unfreiwilligen Gefängnis für gestrandete Reisende machten. Damals zeigte sich nur eine erstaunlich kleine Anzahl von Überlebenden des sogenannten »Haus des Blutes« bereit, sich gegenüber der Presse zu äußern.
Nach wie vor sind längst nicht alle Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Die Behörden zeigten sich, was Einzelheiten betrifft, ebenso wenig mitteilsam wie die Überlebenden selbst. Dieser Mantel des Schweigens führte zum Kursieren wilder Spekulationen im Internet. Darunter mischen sich hartnäckige Gerüchte über ein fremdartiges, möglicherweise sogar übernatürliches Wesen, das im Zentrum des großen Mysteriums stehen soll. Quellen behaupten, das Haus sei lange Zeit von einem jahrhundertealten Wesen beherrscht worden. Von einem Vampir oder einer außerirdischen Kreatur, die sich hinter einer menschlichen Hülle verbarg: in der Gestalt des Mannes, der lediglich als »der Meister« bekannt war. Selbst wenn man diese Spekulationen als vermeintliche Scherze und Hirngespinste abstempelt, dürften sie weiterhin Blüten treiben, solange man die Öffentlichkeit über das, was wirklich in dem Anwesen vorgefallen ist, im Unklaren lässt.
Vor einem Monat hat sich der Verfasser dieses Artikels auf die Suche nach der Wahrheit begeben, nur um immer wieder aufs Neue gegen eine scheinbar undurchdringliche Wand aus Lügen, Irreführungen und Verschleierungen zu stoßen. Sämtliche höhere Polizeibeamte des Countys weigerten sich, mit dem Herald über die aktuellen Erkenntnisse zu sprechen. Stets wurde darauf verwiesen, dass man die »fortlaufenden Ermittlungen mit äußerster Sensibilität« durchführen wolle. Auch die Behörden auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene verweigerten jegliche Stellungnahme.
Gleiches galt für die wiederholten Versuche, mit einer Handvoll Überlebender in Kontakt zu treten. Bereits unmittelbar nach der sogenannten Befreiung, wie sie es selbst bezeichneten, flüchteten sie sich ausnahmslos in eisernes Schweigen. Dream Weaver, 31, ist die vielleicht Bekannteste von ihnen. Die äußerst attraktive Blondine entwickelte sich in den ersten Wochen nach Bekanntwerden des Falls zum Liebling der Medien, lebt inzwischen jedoch sehr zurückgezogen und ist ähnlich wie Howard Hughes in der Schlussphase seines Lebens so gut wie nicht zu erreichen. Anfangs zierte ihr Bild die Titelseiten verschiedener Zeitungen, zudem trat sie in zahlreichen Talksendungen auf. Die berühmten Gastgeber diverser Late-Night-Shows machten sich ausführlich über ihren ungewöhnlichen Namen lustig. Sie heiratete schließlich Chad Robbins, 31, einen weiteren Rückkehrer aus dem Haus des Blutes.
Weder Miss Weaver noch Mr. Robbins waren während der Recherchephase für diesen Reporter zu sprechen. Laut Angaben einer anderen Zeitung haben sich Weaver und Robbins zwischenzeitlich getrennt, der Herald konnte diese Information vor Redaktionsschluss jedoch nicht bestätigen.
Wir haben uns weiterhin darum bemüht, zu jenem Mann Kontakt aufzunehmen, der unter dem Namen Lazarus bekannt wurde. Er galt allen, die in den höhlenartigen Tiefen unter der berüchtigten Villa – schlicht als »Unten« bezeichnet – ein Dasein als Gefangene fristeten, als eine Art Guru. Viele beschrieben ihn als »charismatisch« und »beinahe gottgleich«, obwohl er in den Nachrichtenberichten zu den damaligen Vorfällen eher beiläufig Erwähnung fand. Mit den Vorgängen vertraute Kreise behaupten, er meide das Rampenlicht absichtlich.
Die wenigen existierenden, meist unscharfen Bilder von Lazarus wurden von ganzen Armeen von Amateurdetektiven im Internet analysiert und auseinandergenommen. Einer der Laienermittler behauptet, ihn als Geschäftsmann aus Virginia identifiziert zu haben, der Anfang der 1990er spurlos verschwand. Andere schwören, der Mann sei einer Gruppe von Rockstars zuzuordnen, die seit Langem als verstorben gelten. Die meisten dieser Theorien konzentrieren sich auf Jim Morrison und Elvis Presley. Obwohl diese Mutmaßungen jeglicher rationalen Grundlage entbehren, erfreuen sie sich zunehmender Verbreitung. Keine der Personen, mit denen der Herald sprechen konnte, hat seit der Revolte im Haus des Blutes wieder etwas von Lazarus
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