Das Landmädchen und der Lord
PROLOG
Spanien – 1812
Erschöpft lagen drei Männer auf der harten, von der sengenden spanischen Sonne ausgedörrten Erde. Harry Pendleton, in etwas besserem Zustand als die anderen, hatte den Kopf gegen einen Felsen gelehnt. An Max Coleridges Brust klebte in der mörderischen Hitze ein blutgetränktes Hemd. Die Augen geschlossen, bewegte er sich nicht. Gerard Ravenshead fächelte ihm mit einem großen Blatt Kühlung zu und versuchte die Fliegen von der Wunde fernzuhalten. Um die tiefe Schnittwunde an seiner Schläfe war ein Halstuch geschlungen.
„Ich glaubte, wir wären erledigt“, sprach Harry aus, was alle dachten. „Was für ein Desaster!“
„Daran darfst du dir keine Schuld geben“, mahnte Gerard. „Sie wussten, dass wir kommen würden. Offenbar wurden sie von jemandem gewarnt.“
„Zehn Tote. Und wir drei kamen nur um Haaresbreite mit dem Leben davon.“ Harry stand auf, ging zu Max und musterte ihn. „Irgendwie müssen sie erfahren haben, dass wir bei einem Überraschungsangriff Gefangene machen wollten.“
„Sicher hat uns ein Dienstbote verpfiffen.“ Gerard zuckte die Achseln. „In diesem verdammten Krieg weiß ich nie, ob wir mit den Spaniern die Franzosen bekämpfen oder umgekehrt.“
„Keinem dieser Generäle würde ich trauen“, seufzte Harry und beobachtete das Blut, das über Gerards Gesicht rann. „Soll ich mir deine Wunde noch einmal anschauen?“
„Heute hast du mir das Leben gerettet.“ Gerard grinste ihn an. „Jetzt musst du nicht auch noch mein Kindermädchen spielen. Wir sollten Max ins Dorf bringen. Vermutlich müssen wir ihn tragen.“
Harry schnitt eine Grimasse. „So, wie du dich während dieser Schlacht aufgeführt hast, dachte ich, du wärst lebensmüde.“
„Ja, manchmal ist’s mir egal gewesen, ob ich sterben würde oder nicht“, gab Gerard zu und verjagte eine Fliege von seiner Wange. „Aber wenn man dem Tod ins Auge blickt, werden die Dinge in die richtige Perspektive gerückt. Schließlich habe ich’s gemerkt – ich will am Leben bleiben, heimkehren und eines Tages …“
Obwohl er den Satz nicht beendete, nickte Harry. Dass seinen Freund irgendetwas bedrückte, wusste er, und er nahm an, es würde mit der jungen Dame zusammenhängen, die Gerard umworben hatte.
Und mit der winzigen Narbe an seiner Schläfe … Die war ihm sofort bei der ersten Begegnung in Spanien aufgefallen, nachdem sie sich ein Jahr lang nicht gesehen hatten. Über diese Stelle strich Gerard sehr oft, wenn er nachdachte, und dann verriet seine Miene, dass er sich an etwas erinnerte, das ihn erzürnte.
„Was du meinst, verstehe ich sehr gut“, sagte Harry. „Der Kriegsdienst bedeutet Blut, Schweiß und Tränen. Und das ist noch harmlos.“ Wenn man die Sterbenden schreien hörte und ihnen nicht helfen konnte – das fand er viel schlimmer. „Hilf mir, Max auf meinen Rücken zu heben, ich trage ihn.“
„Nein, ich kann gehen“, murmelte Max. „Zieht mich hoch …“
„Sei nicht albern“, erwiderte Harry. „Ich trage dich so weit wie möglich. Dann geht Gerard ins Dorf und holt Hilfe.“
„Wenn ihr mich stützt, gehe ich.“ Entschlossen versuchte Max aufzustehen. „Verdammt, ich bin kein Baby …“
„Aber ich bin dein Vorgesetzter, also wirst du mir gehorchen“, fiel Harry ihm ins Wort und zwinkerte Gerard zu. „Eins steht jedenfalls fest. Diesen Tag werden wir drei nie vergessen. Und in der Zukunft werden wir einander beistehen, wann immer es nötig ist.“
Als sie Max auf die Beine halfen, stöhnte er.
Dann hievte Gerard ihn auf Harrys Schulter und nickte. „Kameraden im Krieg und im Frieden. Gehen wir. Bald wird mein Kopf platzen. Und Max muss verarztet werden …“
1. KAPITEL
England – 1816
Harry Pendleton sah das Mädchen über die schmale Landstraße laufen – nur wenige Sekunden bevor er an den Zügeln zerrte und das Gespann abrupt zum Stillstand zwang. Während er klirrendes Zaumzeug, schrilles Wiehern und die Flüche des Reitknechts hörte, brachte er die verwirrten Pferde unter Kontrolle. Eine so grobe Behandlung waren sie nicht gewöhnt.
Nun begann er ebenfalls zu fluchen. Beinahe wäre die junge Frau unter die Hufe geraten. „Was, zum Teufel, bilden Sie sich eigentlich ein?“, donnerte er, warf dem Reitknecht die Zügel zu und sprang vom Fahrersitz. „Ich hätte Sie töten können!“
„Wären Sie nicht so schnell gefahren, hätte mir keine Gefahr gedroht.“ Trotz ihrer Blässe und der zitternden Hände warf sie herausfordernd
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