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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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entschlossen auf dem ruckenden Stoff sitzen. Zuerst grub er die Krallen der einen Pfote in das Gewebe, und als er sah, dass sich dieses nach wie vor unter ihm bewegte, durchbohrte er es mit der anderen Pfote. »Lady, runter«, schimpfte July. »Mr Godfrey, zerren Sie den Hund vom Kleid.« Godfrey tätschelte Lady den gesenkten Kopf, dann versetzte er ihr einen scharfen Tritt in den Steiß, um sie wegzuscheuchen.
    July hielt das Kleid hoch, um es in Augenschein zu nehmen. Na, das war vielleicht ein Anblick. Nicht nur hatte der braune Hund den Abdruck seines Hinterteils auf dem Kleid hinterlassen, der aussah wie das Schwarze auf einer Zielscheibe; seine schmutzigen Pfoten hatten den weißen Musselinstoff mit einem Muster verziert, wo keines hingehörte. Aber das war nicht der einzige Schaden an dem Kleidungsstück. Denn Florence und Lucy, die beiden Waschweiber, die immer nur schwatzten, aber von niemandem verstanden wurden, hatten das elegante Kleid mit ihren gnadenlosen Händen einer weiteren allzu energischen Wäsche unterzogen, sodass die zahlreichen Rüschen,Volants und Falbeln alle vollkommen plattgedrückt waren. Und die Ärmel des Kleides, obwohl aus weichster Gaze, waren so steif gestärkt, dass sie wie Holzstücke wirkten. Die starren Ärmel ragten nach vorn, als flehten sie darum, von jemandem umarmt zu werden.An den Ärmelmanschetten war kein einziger Perlmuttknopf übrig geblieben – denn diejenigen, die nicht schon Florences und Lucys hektisches Getrommel wie Gewehrkugeln in die Luft geschossen hatte, ließ July mit einem gekonnten Schnippschnapp ihrer Schere verschwinden. Und der Spitzenkragen, der den Halsausschnitt wie eine Pelerine umgeben hatte, fehlte ganz. Entweder war er, unbemerkt von den beiden einseifenden Wächterinnen, auf einem schäumenden
Floß aus Seife, Waschblau und Stärke von den Wogen des Flusses davongetragen worden, oder er würde bald unter der Matratze entdeckt werden, auf der Molly schlief, die Bestürzung heuchelnd rufen würde: »Wie kommt ’n der hierher?!« Man brauchte sich gar nicht erst zu erkundigen, wie viele von den Sicherheitshaken und schwarzen Korsettstangen des Kleides noch vorhanden waren, denn es gab keine mehr.
    July hob das Kleidungsstück ans Licht, drehte das Mieder auf links, um das Futter und den Verlauf der ausgefransten und sich aufdröselnden paspelierten Säume zu begutachten, und sagte: »Mr Godfrey, die peitscht mich dafür aus. ’s is’ hinüber.«
    Und Godfrey lächelte und antwortete: »Miss July, da mach ich mir aber keine Sorgen.«
    Und dies ist der Grund.
    Als July zu dem Zimmer kam, in dem ihre Missus, starr vor zorniger Ungeduld, ausgestreckt lag, rannte sie mit solchem Schwung hinein, dass die Trinkgläser, die die Anrichte aus Mahagoni schmückten, klirrend erbebten und ihre Ankunft mit einer Melodie wie von klingelnden Glöckchen ankündigten. Sie flog förmlich auf Carolines Liegestatt zu, und noch bevor ihre Missus Luft holen konnte, um mit der ausdauernden, wütenden und hysterischen Beschimpfung zu beginnen, die sie sich vorgenommen hatte, warf July sich zu Boden, hielt das Kleid in die Höhe und schrie: »Missus, ’s Kleid, ’s is’ verdorben! Die ham Euer Kleid verdorben. ’s is’ kaputt, kaputt. Oh, schlagt mich, Missus, kommt, schlagt mich! Das Kleid is’ verdorben, verdorben, verdorben. Kommt, nehmt die Peitsche und schlagt mich. Ich bitte Euch, Missus!«
    Kein Wort war über Carolines Lippen gekommen, aber ihr Mund stand weit offen, als sie sich hastig auf ihrem Ruhebett aufsetzte. »Was ist los, Marguerite? Was ist los?« July erhob sich, stützte sich aufs Bett und drückte das Kleid dicht vors Gesicht der Missus. Die Missus kreischte auf und streckte ihre pummelige
Hand aus – entweder um die heulende Sklavin fernzuhalten oder um zu verhindern, dass die steifen Ärmel des Kleides sie auf den Kopf schlugen.
    »Missus, kommt, schlagt mich!«, rief July, ergriff den Pantoffel am Fuß ihrer Missus und streifte ihn ab. Sie hielt den rosa Satinschuh in die Luft und drosch sich mit Wucht auf den Kopf. »Kommt, Missus, schlagt mich!«, flehte sie. Sie schickte sich an, den Pantoffel ihrer Missus zu reichen, doch bevor diese danach langen konnte, warf July ihn rasch zu Boden und schrie: »Oh, Missus, oh, Missus! Nicht das Kleid angucken – ’s is’ kaputt.« Dann warf sich July selbst flach auf den Boden und vergrub das Gesicht im Stoff des Kleides. Sie strampelte mit den Beinen, fuchtelte mit den Armen und stieß ein

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