Das launische Eiland.
sah.
»Nino, ich beschwöre dich.«
»Euer Ehren, sobald ich den Rauch seh, sag ich es Ihnen. Bewahren Sie die Ruhe.«
»Sagt mir sofort, was passiert ist!« befahl der Ingenieur Lemonnier, der zwar aus Turin war, aber ein fähiger und flinker Mann und in seinem Fach, dem Minenwesen, eine wahre Größe.
In den zwei Jahren, die er schon in Vigàta weilte, hatte er ein klein wenig von den Sizilianern und ihrem Wesen begriffen. Es kam bei ihnen nicht auf die Worte und auch nicht auf die Gesten an, sondern darauf, wie sie diese Worte aussprachen und diese Gesten ausführten, lautete die Schlußfolgerung des Ingenieurs. Winzige Nuancen, Stirnrunzeln, kaum merkliche Veränderungen im Sprechrhythmus und in der Betonung, das waren die Dinge, die Gewicht hatten. Zu dieser Erkenntnis gelangte er schon drei Monate nach seiner Ankunft in Sizilien, als er sich zusammen mit dem Commendatore Madonìa, einer hervorragenden Person, nach Palermo hatte begeben müssen. Seit geraumer Zeit brachte die Inselzeitung »La voce dell'Isola« Nachrichten über den Gesundheitszustand Papst Leos XIII., die keinen Anlaß zur Freude darstellten: Erschöpft sei er so behaupteten die Journalisten –, weil er die Enzyklika »Immortale Dei« über die christliche Verfassung der Staaten vollendet und schon die nächste, »Christianum«, in Angriff genommen hatte, die sich mit nichts Geringerem als der Befreiung der Sklaven befaßte. Nun, an jenem Tag überquerten sie gerade den Platz der Quattro Canti di Città, und der Commendatore Madonìa hatte sein Auge auf den Aushang geheftet, der dieses Mal beruhigende Worte über den Gesundheitszustand der illustren Persönlichkeit zu berichten wußte, als sich ein vornehm gekleideter Herr in fortgeschrittenem Alter mit steifem Getue und ganz offensichtlich darauf bedacht, ja nicht zu stören, dem Commendatore näherte und leise die Frage an ihn richtete: »Verzeihen Sie, können Sie mir sagen, wie es um den Papst steht?«
Obwohl in jenem Augenblick keinerlei körperlicher Kontakt mit dem Commendatore bestand, hatte Lemonnier gespürt, wie dessen Muskeln zuckten und sich dann verhärteten, wie das gesamte Nervensystem des anderen wie nach einem Stromstoß vibrierte. Da es dem Commendatore Madonìa merkwürdigerweise die Stimme verschlagen hatte, wollte er schon an seiner Statt erwidern, dem Papst, Gott sei gelobt, gehe es ein klein wenig besser, als er bemerkte, daß sich sein Begleiter – war er es überhaupt noch, oder war er ein anderer? – wie durch einen Zauber streich völlig verändert hatte: Jegliche Freundlichkeit, Höflichkeit und Anstand, die er für gewöhnlich an den Tag legte, waren vergessen, und wutentbrannt schleuderte er dem Herrn in sein leicht nach vorn geneigtes Gesicht – in seinen Augen lag ergebene Erwartung, sein Mund war schon bereit, sich zuvorkommend zu bedanken -: »Gehen Sie mir bloß nicht auf die Eier!«
Unwirsch hatte er dann den zu Stein erstarrten Lemonnier am Arm mit sich gezerrt. Tags darauf, als er wieder in Vigàta war und von dem seltsamen Vorfall berichtete, hatte ihm ein mitleidiger Zuhörer erklärt, daß der Commendatore Madonìa ein glühender Papstanhänger sei, der sich ab dem Zeitpunkt des »Non expedit« geweigert habe, zur Wahl zu gehen, und daß der Herr aus Palermo ihn auf irgendeine Weise kennen mußte. So war ihm klargeworden, welch gewaltige Ladung Ironie, ja grausamer Sarkasmus in dem lag, was in seinen Augen eine völlig harmlose Bitte um Auskunft gewesen war. Einmal hatte ihm ein Freund erzählt, daß die Chinesen nie nein sagten, sondern immer mit Ja antworteten, ganz gleich wie die Frage lautete. Man mußte also begreifen, wann das Ja tatsächlich ja und wann es nein bedeutete. Nur daß sich die Sache hier sofort als ein wenig komplizierter als bei den Chinesen erwiesen hatte. Er hatte beobachtet, daß die Grubenarbeiter, für die er den Direktor zu spielen hatte, an bestimmten Tagen, wie sie es nannten, wie »durch den Wind waren«: Sie bewegten sich schwerfällig; es war zwar kaum der Rede wert, und es bedurfte eines geübten Auges, um sich dessen bewußt zu werden, doch wenn, dann war er sich sicher, daß es im Laufe des Tages noch Rabatz geben würde. Andere Male hingegen bewegten sie sich mit eleganter Lässigkeit, ja verrieten eine Art Heiterkeit, die sich sogar in einer helleren Gesichtsfarbe bemerkbar machte.
In jenem Fall hatte er die Gewißheit, etwas Angenehmes zu erfahren, beispielsweise von einer Hochzeitsfeier oder
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