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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ihr verbliebenen Immobilien Hypotheken aufgenommen wurden, und sah darauf, wie ihre Mitglieder in eine schlimme Misere gerieten. Als ehrliche Kaufleute handelnd und um bis zuletzt das respektable Ansehen zu bewahren, das unsere g eschlossene Firma bis zum Ende genoß, machen wir Ihnen hiermit den Vorschlag, daß Sie zur vollständigen Begleichung der Schulden gegenüber dem Bankinstitut die Summe von achttausend Lire entgegennehmen mögen, die aus dem Verkauf eines Grundstücks aus dem Besitz der verstorbenen Gattin des Bonocore stammt. Andere Güter befinden sich nicht in unserem Besitz, auch wenn wir uns die Augen ausweinen. Im Vertrauen auf Ihre wohlmeinende Rückantwort, mögen Sie mir aus der Tiefe der Seele glauben…

    Schon seit fünf Jahren hatte er den Brief nicht mehr gelesen. Nichts hatte die Demütigung, ihn schreiben zu müssen, eingebracht, die Bank hatte abschlägig geantwortet. Und während er dazu verdammt war, nicht nur seinen letzten Zipfel Erde zu verkaufen, sondern auch das Haus, in dem er das Licht der Welt erblickt und seine Gemahlin ihren letzten Atemzug getan hatte, um sich in eine ebenerdige, aus zwei Räumen bestehende Klitsche zu zwängen und obendrein die Schmach zu erdulden, seinen einzigen Sohn in der Ferne zu wissen – während er also zu einem armen Irren wurde, fuhr sein Schwiegersohn Emanuele Barbabianca, für den er sich ruiniert hatte, weiterhin mit der Pferdedroschke durch die Gegend. Die Art und Weise, wie er sich nach dem Desaster verhalten hatte, stärkte den Verdacht, den Don Ciccio Lo Cascio eines Abends in ihm hatte keimen lassen – nämlich daß es sich um eine zwischen Vater und Sohn ausgeheckte Gaunerei gehandelt hatte, um ihn ein für allemal zu Fall zu bringen –, bis der Verdacht die Farbe der absoluten Gewißheit annahm. Und jetzt, nach sieben Jahren Qual und Pein und Leid, war vielleicht der Augenblick gekommen, jenes Fenster zu öffnen. Er fand die Kraft, die er längst verloren geglaubt hatte, und war mit einem Satz am Fenster. So heftig riß er beide Läden auf, daß sie gegen die Wand knallten. Der warme Sonnenschein fiel ins Zimmer, und er merkte nicht einmal, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.

    Die Attards, die Bouhagiars, die Camilleris, die Cassars, die Hamels, die Oates, die Peirces, die Sciainos, die Xerris – Araber oder Malteser, was auch immer sie waren, Schlammfüße, bettelarm, die selbst am Öl für die Totenlämpchen sparten –, die Ayalas, die Contreras, die Fernandez, die Lopez, die Martinez, die Vanascos, die Villaroels, die Villasevaglios – alle Spanier und alle etepetete, aber ohne Mumm in den Knochen, die Nase rümpfend, als röchen sie überall nur Scheiße –, die Gotheils, die Hoefers, die Jacobs – Kartoffelfresser, deutsche Esel mit Scheuklappen, die in der Lage waren, in einen Graben zu plumpsen, um ja nicht auch nur einen Zentimeter vom vorgezeichneten Weg abzuweichen, Dickschädel eben –, und dann die endlose Reihe der Dorfhalunken, die Brancatis und die Buttitas, die Cacciatores und die Cònsolos, die D'Arrigos und die De Stefanis, die Farinellas und die Fiores, die Gallos und die Giudices, die Isgròs und die Joppolos, die Lanzas und die Longos, die Mazzaglias und die Morminos, die Napolis und die Nicosias, die Padellaros und die Pizzutos, die Ronsisvalles und die Russellos, die Savareses und die Sciascias, die Terranovas und die Torrisis, die Uccellos und die Ulianos, die Vilardos und die Virduzzos, die Zagarrìos und die Zinnas – das gesamte Städtchen eben hatte Hände, Füße, Bäuche, Brustkörbe vergessen und war ganz Auge geworden: Augen auf Fensterhöhe, auf Türhöhe, wie ein Seezungenschwarm unter einer Sandbank, der sich im sicheren Versteck wähnt und sich in Wirklichkeit aber durch die Aberhunderte glänzend schwarzer Punkte, die Augen eben, verraten… Diese tausend Augenpaare, die seine Schultern durchbohren und zwischen seinen Schulterblättern eine größere Geschoßrose ins Fleisch brennen als eine Schrotflinte und ihn in Richtung der vorletzten Station drängen (jawohl, in seinem Geist ist es noch immer ein Wort des Leidenswegs, was ihm ganz selbstverständlich ist, denn immer mehr vergleicht er sich in seinem unendlichen Selbstmitleid, in dem er zu ertrinken droht, mit Christus und seinem Kreuzgang), wo der Richter auf ihn wartet, um ihm einen weiteren Dorn in die Dornenkrone zu stecken, den nächsten Nagel ins Kreuz zu schlagen.
    »Mir blutet das Herz, mein allerliebster Don Nenè, aber

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