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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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er immer
der Kleine
.
    Kleiner Blödmann, kleine Nervensäge, kleiner Petzer, kleiner Hosenscheißer.
    Kleiner Bruder.
    Fleischgewordener Verrat meiner Eltern, die ihn einfach in die Welt gesetzt hatten, ohne mich zu fragen, was ich davon hielt, obwohl sie
mich
hatten und das zu ihrem Glück doch vollauf hätte genügen müssen.
    Wer redet über das Leid der älteren Brüder und Schwestern, die gezwungen werden, Bonbons, Papas Schultern, Mamas Küsschen, die Rückbank im Auto, ihren Roller und ihr Fahrrad zu teilen? Wer berichtet, wie frustrierend es ist, von einem Tag auf den anderen (oder fast) und ohne eigenes Zutun zu demjenigen zu werden, der mit gutem Beispiel vorangehen muss?
    Aber ich habe meine Rolle ernst genommen, das kann Hervé bestätigen. Ich habe alles getan, um ihm beizubringen, wie es im Leben zugeht, im echten Leben, ich habe ihm Beine gestellt, Juckpulver in den Kragen gestopft und ihn verraten, wo ich nur konnte. Mir verdankt er es, dass seine Kindheit eine lange Abfolge von Schikanen war.
    Ich war der unerträgliche große Bruder.
    Ich bin der unergründliche alte Bruder.
    In Anbetracht unseres Alters fürchte ich, das wird jetzt für den Rest unseres Lebens so bleiben.

I ch war gerade dabei, eine Mail zu beantworten, flach auf dem Rücken liegend, das Notebook auf dem Nachttisch, den Bildschirm so gut wie möglich ausgerichtet, die Brille ganz unten auf der Nase, sodass ich aussah wie ein alter Lehrer – was für einen ehemaligen Klassenletzten doch der Gipfel ist –, als die Reinigungskraft, die seit einer guten Viertelstunde den Boden um das Bett herum wischte, mich spöttisch fragte: »Schreiben Sie Ihre Lebensgeschichte auf?«
    Ich lächelte.
    Ich habe es immer komisch gefunden, seine
Memoiren
zu schreiben. Es hat etwas Peinliches. Man schreibt seinen eigenen Nachruf, als würde man sich schon vermissen und weil man sich doch immer am besten selbst hilft. Bevor man abtritt, bringt man noch schnell auf Hochglanz, was man nur kann, man wischt Staub und kehrt allen Dreck unter den Teppich.
    Aber bei näherer Betrachtung finde ich, es ist doch eine Beschäftigung wie andere auch.
    Warum eigentlich nicht?
    Also habe ich beschlossen, auf den Punkt zu bringen, was ich von meinem Leben behalten habe. Ich bin ein methodischer Geist. Ich fasse gern zusammen. Und selbst wenn das Ergebnis keinen interessiert – angefangen bei mir, ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich das Ganze noch mal durchlesen will –, gebe ich mir Mühe. Ich gehe sogar so weit, dass ich mir auf dem Computer Notizen mache, ich betreibe eine Art persönliche, intime Altertumsforschung im Excel-Tabellen-Format. Alte Gewohnheit. Ein Leben in der Logistik, das wird man nicht mehr los.
    Ich habe ausgehandelt, dass ich mein Notebook immer angeschlossen und griffbereit auf einem zum Pult umfunktionierten Beistelltisch behalten darf. So laut ich auch brüllen mag, damit man meine Tür zumacht, so sanft und einschmeichelnd kann ich werden, damit man mir den Computer am Bett stehenlässt.
    Not macht diplomatisch.

I ch versenke mich in ferne Erinnerungen und finde mich im Alter von ungefähr sechs Jahren wieder, als ich mich brennend für das Schafott interessierte, das damals bei uns zu Hause ein wiederkehrendes Thema war.
    Ich habe mich lange gefragt, was dieses »Schafott«, mit dem man mir ständig in den Ohren lag, wohl sein mochte. Ehrlich gesagt dachte ich anfangs, es wäre ein Baum. Ein großer, knorriger Baum. Ein Kletterbaum für Affen oder Panther.
    Oder vielleicht auch ein Berggipfel, warum nicht?
    Letztlich hatte ich keine Ahnung.
    Nach reiflicher Überlegung war ich aber zu folgender Gewissheit gelangt: Es handelte sich um ein Schiff. Nicht um ein Ruderboot, einen Steckkahn oder eine jämmerliche Einmannjolle. Ein echtes Schiff. Ein großes, mit dem man die Meere befahren kann. Eins, das es spielend mit Stürmen und Orkanen aufnimmt und dem Atlantik und dem Pazifik und allen Meeren auf -
ik
, die man Ozeane nennt, eine lange Nase dreht. Nachdem dieses Rätsel also gelöst war, beschäftigte mich nur noch die Frage, in welchem Hafen man wohl an Bord dieses Schiffes ging. Und ob man mich nehmen würde, ob man mich brauchen könnte. Aber
das
würde ich schon hinkriegen. Ich kriegte immer alles hin.
    Ich war sechs Jahre alt und hatte noch alle meine Milchzähne, ich kannte mich im Leben aus.
    Man würde mich nehmen, keine Frage.
    Jedenfalls war es sicher ein Kriegsschiff, nach der verheerenden Wirkung zu schließen,

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