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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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halten, falls sie herausfallen«, sagte meine Mutter.
    Unsere neue Wohnung befand sich in der dritten Etage eines Hauses auf der West Broad Street. Einen Häuserblock weiter hügelabwärts, nicht weit entfernt von Teddy’s Market und gegenüber von Burrets Building Materials, erstreckte sich ein weitläufiges, verwuchertes Gelände, das rückseitig von einem Schrottplatz begrenzt und in der Mitte von Eisenbahnschienen durchquert wurde. Dieses Stück Wildnis gehört zu den Orten, auf die ich in meiner Fantasie immer wieder zurückgreife. Es taucht hier und dort unter allen möglichen Bezeichnungen in meinen Büchern und Geschichten auf. Die Kinder in Es (Originaltitel: It ) nennen es »die Barrens«, wir nannten es den Dschungel. Mein Bruder Dave und ich erkundeten das Gelände zum ersten Mal, kurz, nachdem wir nach Stratford gezogen waren. Es war Sommer. Es war heiß. Es war herrlich. Schon waren wir tief in die grünen Geheimnisse dieses tollen neuen Spielplatzes vorgedrungen, als ich ein dringendes menschliches Bedürfnis verspürte.
    »Dave«, sagte ich, »bring mich nach Hause! Ich muss drücken!« (Dieser Ausdruck war uns zur Beschreibung dieser besonderen Körperfunktion beigebracht worden.)
    David wollte nichts davon hören. »Mach’s doch hier zwischen den Büschen«, antwortete er. Es hätte mindestens eine halbe Stunde gedauert, mit mir nach Hause zu gehen, und er hatte nicht die Absicht, sich so viel wertvolle Zeit stehlen zu lassen, nur weil sein kleiner Bruder einen Haufen machen musste.
    »Das kann ich nicht!«, rief ich. Mir schauderte bei der Vorstellung. »Ich kann mich doch gar nicht abputzen!«
    »Klar kannst du das«, gab Dave zurück. »Putz dich mit ein paar Blättern ab. So haben das die Cowboys und Indianer auch gemacht.«
    Nun, zu dem Zeitpunkt war es wahrscheinlich eh zu spät, um es bis nach Hause zu schaffen. Ich glaube, mir blieb keine Wahl. Außerdem fand ich die Aussicht verlockend, wie ein Cowboy zu kacken. Ich tat so, als wäre ich Hopalong Cassidy, der sich mit gezücktem Gewehr ins Unterholz hockt. In so einer intimen Situation wollte man ja nicht böse überrascht werden. Ich erledigte mein Geschäft und vergaß auch nicht die von meinem älteren Bruder vorgeschlagene Säuberungsmethode. Sorgfältig wischte ich mir den Hintern mit einer großen Handvoll glänzender grüner Blätter ab. Später stellte sich heraus, dass es giftiger Efeu war.
    Zwei Tage später war ich von den Kniekehlen bis hoch zu den Schulterblättern knallrot. Mein Penis blieb verschont, aber meine Hoden waren rot wie Bremslichter. Mir kam es so vor, als juckte mir der Hintern bis zum Brustkorb. Am schlimmsten aber war die Hand, mit der ich mich abgewischt hatte: Sie schwoll so stark an wie die Hand von Micky Mouse, nachdem Donald Duck mit einem Hammer draufgeschlagen hat. Wo die Finger aneinanderrieben, bildeten sich gigantische Blasen. Als sie aufplatzten, blieben tiefe Furchen im rohen rosa Fleisch zurück. Sechs Wochen lang saß ich in lauwarmen Stärkebädern und fühlte mich elend, gedemütigt und dumm. Durch die offene Tür konnte ich meine Mutter und meinen Bruder lachen hören, die in der Küche Peter Tripps Hitparade im Radio lauschten oder Mau-Mau spielten.

10
     
    Dave war ein toller Bruder, bloß zu klug für einen Zehnjährigen. Sein Grips brachte ihn immer in Schwierigkeiten, und irgendwann (wahrscheinlich nachdem ich mir den Hintern mit giftigem Efeu abgewischt hatte) merkte er, dass es meistens möglich war, Bruder Stevie mit ins Boot zu ziehen, wenn Ärger ins Haus stand. Dave bat mich nie, die ganze Schuld für seinen oft brillanten Bockmist auf mich zu nehmen, denn er war weder ein Kriecher noch ein Feigling, doch bei mehr als einer Gelegenheit wurde ich gebeten, mir mit ihm die Schuld zu teilen. Deshalb bekamen wir wohl auch beide Ärger, als Dave den Bach staute, der durch den Dschungel floss, und dadurch den unteren Abschnitt der West Broad Street unter Wasser setzte. Die Verantwortung gemeinsam tragen zu wollen, war auch der Grund, warum wir gemeinsam unser Leben aufs Spiel setzten, als wir Daves möglicherweise todbringendes Projekt in Naturwissenschaften durchführten.
    Es muss wahrscheinlich 1958 gewesen sein. Ich ging zur Center Grammar Grundschule, Dave zur Stratford Junior High. Meine Mutter arbeitete in der Wäscherei von Stratford, wo sie die einzige weiße Frau unter den an den Wäschemangeln arbeitenden Beschäftigten war. Dort war sie auch und schob Bettlaken in die Mangel,

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